Kein Mensch darf in den Krieg, wo ihn Folter und Tod erwarten, abgeworfen werden. Die Taliban stehen 150 km vor Kabul.

Noch immer wird in Österreich  darüber diskutiert, ob es vertretbar ist, Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen. Das ist es natürlich nicht: Es gibt eine klare EGMR-Verfügung, die sich nicht auf den Einzelfall, sondern die Sicherheitslage bezieht und die wird sich nicht so rasch bessern. Die NATO zeigt sich höchst besorgt, der UNO-Menschenrechtsrat ist über die Sicherheitslage alarmiert und alle EU-Botschafter in Kabul rufen dazu auf, Abschiebungen dringend auszusetzen – ein ungewöhnlicher und somit aussagekräftiger Akt, weil man sonst zu nationalstaatlichen Angelegenheiten keine Empfehlungen abgibt.

Fakt ist: Die Sicherheits- und Menschenrechtslage in Afghanistan ist beängstigend. Es gibt kaum noch sichere Orte, und wenn, so ist die Flucht dorthin lebensbedrohlich. Die Taliban machen vor niemandem halt: Letzte Woche wurde eine Mitarbeiterin des Frauenministeriums auf offener Straße aus dem Auto gezerrt und durch einen Kopfschuss hingerichtet, kurz darauf wurde der Regierungssprecher in Kabul ermordet, es folgten 27 Kinder in 72 Stunden. Ein Ende der Militäroffensive ist nicht in Sicht – die Hauptstadt Kabul, wo die Menschen aktuell noch Zuflucht finden, soll laut US-Geheimdienst in vielleicht schon 30 Tagen fallen.

Dass die Staaten der Reihe nach Abschiebungen aussetzen, war aufgrund der Entwicklungenzu erwarten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz bezeichnet Afghanistan als einen der „tödlichsten Orte der Welt für Zivilisten“. Die „innerstaatlichen Fluchtalternativen“ sind dahin. Das sieht jetzt auch Seehofer in Deutschland ein – trotz Wahlkampf. Zu glauben, dass Österreich auf eigene Faust mit einem Propeller ohne Landeerlaubnis und ohne Kooperation und Koordination mit anderen europäischen Staaten, wie hier sonst üblich, über dem Land Menschen abwirft, ist realitätsfern. Das ist faktisch unmöglich. Wir sind gebunden an das internationale Recht und die Rechtslage ist klar und gilt auch für Österreich.

Für mich ist klar: In den Krieg schicken und Folter und Tod aussetzen sollten und dürfen wir niemanden – ungeachtet von Alter, Biografie oder Geschlecht. Straftäter haben ihre Strafe schlicht abzusitzen – die Wahrscheinlichkeit, dass sie das tun ist im Übrigen in Österreich grösser, als wenn sie im Nirwana verschwinden. Wir sollten den Tatsachen ins Auge blicken und uns gemeinsam mit anderen Staaten und internationalen Hilfsorganisationen an einen Tisch setzen, um auf Vertriebene, die nach Europa flüchten werden, vorbereitet zu sein. Wichtig in dem Zusammenhang ist die dringende Unterstützung der Nachbarstaaten von Afghanistan, wo die meisten Zuflucht finden werden. Je sicherer die Versorgungslage dort ist, desto kleiner der Druck weiterzuziehen.