Österreichs Kanzler ist am Balkan und das ist gut so. Nur: verfolgt er dort andere Ziele, als ich kürzlich beim Besuch in der Region? Vielleicht hilft ein ÜberDenTellerrand, um zu verstehen, wieso es ein fatales Zeichen ist, Serbiens Präsident Vučić gerade jetzt Rückendeckung zu geben.

Wer bis vor kurzem an der wahren Natur Vladimir Putins gezweifelt hat, dem hat spätestens der Angriffskrieg gegen Ukraine die Augen geöffnet: Der Mann wähnt sich auf historischer Mission und geht dafür über Leichen. Hierzulande geltende Paradigmen politischen Handelns, wie friedliche Konfliktlösung oder Förderung des allgemeinen Wohlstands, lassen sich auf den Kriegsherren aus dem Kreml schlicht nicht anwenden. Um Putin wirkungsvoll entgegentreten zu können und ihn dabei einzubremsen, die Welt weiter ins Unglück zu stürzen, müssen wir seine politische Weltsicht verstehen und wissen, wer ihm die Mauer macht.

Die Tatsache, dass sich Putin in der Ukraine verschätzt hat, heißt nicht, dass er aus seiner Sicht irrational handelt. Er verfolgt seit Jahren einen Plan – auch wenn der jetzt nicht nach Plan verläuft. Ukraine ist nur EIN Dominostein in dieser anvisierten Geschichtsrevision. So warnte der slowenische Premierminister Janez Jansa kürzlich in einem Interview: „Ich bin zu 100 % davon überzeugt, dass wenn Russland in der Ukraine nicht gestoppt wird und Kiew fällt, das nächste Ziel Moldawien und Georgien sein werden, dann wird es auf dem Westbalkan Probleme geben, und dann sind die baltischen Staaten das nächste Ziel.“ Meine Worte. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell blies ins selbe Horn: „Wir befürchten, dass Russland nicht in der Ukraine Halt machen wird.“

Wir kennen sein bewährtes destruktives Muster aus den eben erwähnten Regionen: Zunächst wird Unruhe geschürt, hernach zum vermeintlichen Schutz einer unterdrückten Bevölkerung direkt eingegriffen. So bohrt Putin seinen Finger in die offenen Wunden Europas um Konflikte am Leben zu erhalten und die friedliche, demokratische Entwicklung zu stören. Ich bin davon überzeugt: Wenn es die russischen Truppen bis an die Westgrenze der Ukraine schaffen, wird sich das nächste Kapitel in dem gegenwärtigen Albtraum auftun. Die Regierung der Republik Moldawien ist zwar europäisch gesinnt, doch auf dem Gebiet haben prorussische Separatisten ein De-facto-Regime errichtet, das ausschließlich von Moskau gestützt wird: Transnistrien. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist dort russisches Militär stationiert. Im Osten grenzt das Separatistengebiet an die Ukraine. Zur Erinnerung: Die Region hatte sich in einem blutigen Bürgerkrieg von Moldau abgespalten, als das Land sich wiederum von der Sowjetunion unabhängig erklärte. Ein ukrainischer Armeesprecher sagte kürzlich nicht von ungefähr, Russlands Ziel sei ein Korridor von der Krim sowohl zu den Separatistengebieten im Osten der Ukraine als auch nach Transnistrien im Westen. Sollte Ukraine also fallen und die russische Armee bis zur Grenze vorrücken, wäre die Region einer militärischen Invasion schutzlos ausgeliefert. Der nächste Dominostein. Putins Angriffskrieger stünden dann direkt vor Rumänien.

Zurück zum Kanzlerbesuch am Balkan: Gleich auf der anderen Seite von Rumänien liegt Serbien. Zu welcher Seite sich Serbien hingezogen fühlt, ist kein Geheimnis. Sowohl große Teile der Bevölkerung als auch die Regierung selbst agieren pro-Putin. Präsident Aleksandar Vučić weigert sich, den Sanktionen gegen Russland zu folgen, obwohl sein Land EU-Beitrittskandidat ist. Auch für uns gehört Serbien zu Europa und wir müssen danach trachten, den Beitrittsprozess zu beschleunigen. Klar ist jedoch: Mit antieuropäischem Verhalten, keiner klaren Abgrenzung zu Rechtsextremismus oder Putins Angriffskrieg überschreitet Serbien definitiv rote Linien. Wenn Serbien die Sanktionen der westlichen Welt gegen den brutalen und völkerrechtswidrigen Krieg Russlands nicht mitträgt, ist das ein bewusstes Signal an Europa. Genauso, wie es deshalb ein falsches Signal aus Österreich ist Vučić kurz vor (s)einer Wahl (sic!) auf die Schulter zu klopfen, statt ihm die Leviten zu lesen. Denn: In diesem existenziellen Ringen, wo es um die Zukunft Europas geht, kann sich Serbien nicht einfach durchschummeln. Das Land und seine politische Führung müssen sich entscheiden, auf welcher Seite der Geschichte sie stehen wollen. Dazu gehört auch, es zu unterlassen, den serbischen Nationalisten in Bosnien Herzegowina unter Führung von Milorad Dodik auch noch die Streichhölzer in die Hand zu drücken. In diesem Sinne: Vergessen wir den Balkan nicht. Unterstützen wir Bosnien. Erteilen wir den Nationalisten Vučić und Dodik eine klare Absage beim Spalten und sorgen wir mit allen Mitteln dafür, dass die Region kein Einfallstor für Putin wird. In aller Klarheit, ohne falsches Verständnis.