Die Regierung will den 12-Stunden-Tag im Eilverfahren durchs Parlament peitschen. Manche ihrer GegnerInnen argumentieren, dass es jetzt gelingen kann, die schwarzblaue Regierung herauszufordern. Doch im Gegenteil, meint Ewa Dziedzic: Es geht um weit mehr als nur Parteipolitik. Wir müssen jetzt aufzeigen, was eine 60 Stunden Woche tatsächlich für unser aller Leben bedeutet. 

In den Medien geht es derzeit hoch her: VertreterInnen von Regierung und Gewerkschaft werfen sich gegenseitig Argumente an den Kopf. „Durch fehlende Überstundenabgeltung geht eine Milliarde Euro im Jahr verloren“, sagt AK Oberösterreich Präsident Kalliauer.

Kanzler Kurz lächelt solche Argumente weg und denkt wohl an das Sommerfest der Industriellenvereinigung. 2017 wurden 250 Millionen Überstunden geleistet – jede fünfte wurde nicht abgegolten. Manche Arbeitszeiten werden laut ArbeitnehmerInnen nicht einmal als solche anerkannt. „Einzelne schwarze Schafe“, sagt dazu die Wirtschaftskammer.

Wir arbeiten ohnehin schon mehr

Vollzeitbeschäftige in Österreich arbeiten heute schon mehr Stunden pro Woche als im EU Durchschnitt, nämlich 42,8 Stunden. Länger zu arbeiten ist heute schon für viele normal – und genau das stellt uns jetzt vor eine schwierige Herausforderung.

Viele ArbeitnehmerInnen denken sich: „Es ist doch schon jetzt alles flexibel. Ich arbeite sowieso mehr als acht Stunden und bei Überstunden habe ich ohnehin nie Sicherheit.“ Letztens sagte mir ein Arbeiter aus Niederösterreich: „Tja, vielleicht hat die FPÖ neue Berechnungen, wieso es jetzt gut ist, da muss man innovativ bleiben!“

Er möchte nicht hören, dass seine Wahlentscheidung für die freiheitliche Partei im Oktober falsch war. Auch viele ÖVP-WählerInnen wollen keine 60 Stunden Woche, aber sie möchten trotzdem nicht gegen ihre eigene Partei auftreten. Deshalb gilt es aufzuzeigen, dass sich für die breite Mehrheit der Bevölkerung mehr ändern würde, als viele denken.

Vernunft und Realität

Viele Artikel und Kommentare der letzten Tage sammeln Argumente die zwar stimmen, die aber die Stimmung gegen die Bundesregierung nicht drehen können. Ein Beispiel ist das Speed Kills-Argument: Die Regierung versucht den 12-Stunden-Tag im Eilverfahren durch das Parlament zu peitschen. Kaum hatten sie in der Nationalratssitzung den Initiativantrag eingebracht, war auch gleich der Ausschuss einberufen und eine Fristsetzung abgestimmt, damit das Gesetz noch im Juli-Plenum beschlossen werden kann.

Viele kritisieren nun zu Recht diese undemokratische Vorgangsweise. Doch ich bin überzeugt, dass für die Mehrheit der Bevölkerung übrig bleibt: „Ja gut, sie arbeiten zielstrebig“, statt „die Zeiträume sind zu kurz, um die Kritik aus den Stellungnahmen ernstzunehmen und einzuarbeiten“. Ein FPÖ-Mitarbeiter soll hinter vorgehaltener Hand zu einem SPÖ-Sprecher gesagt haben, die freiheitlichen Abgeordneten im Sozialausschuss wären zu arbeitnehmerfreundlich, weshalb der Antrag zum 12-Stunden-Tag dem Wirtschaftsausschuss zugewiesen wurde. Empörung über diese Vorgehensweise ist jedenfalls angebracht, sie holt aber lediglich jene ab, die sich mit der Aushöhlung des Parlamentarismus schon näher beschäftigen.

Ebenso reicht es nicht, auf die Freiwilligkeit der Überstunden zu beharren, die die Regierung nun ins Arbeitszeitgesetz schreiben will. Wohl wissend, dass es faktisch nichts ändert, hofft Strache, so seine WählerInnen zu beruhigen. Die Befugnisse der Unternehmen, Überstunden anzuordnen, werden trotzdem ausgeweitet.

Was die 60-Stunden-Woche bedeutet 

Wir können ziemlich genau absehen, was die 60-Stunden-Woche in der Praxis bedeuten wird. Statt fünf zulässigen Überstunden pro Woche, können ArbeitgeberInnen künftig 20 anordnen. Der Druck auf Beschäftigte steigt. Private Interessen werden jenen von Unternehmen weiter untergeordnet.

Mit dem neuen Gesetz müssen Gleichzeitarbeitsverträge, Überstundenzuschläge und Zeitguthaben neu verhandelt werden. Wann und von wem das angegangen wird, bleibt unklar. Gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeit sollen ArbeitnehmerInnen vor unternehmerischer Willkür schützen. Doch mit dem 12-Stunden-Tag wird das aufgeweicht, der Unterschied zwischen selbst gewähltem verlängertem Arbeitstag und kurzfristigem Arbeitsauftrag kann in der Praxis schwer erfasst werden.

Gefahr für Gesundheit… 

Die Arbeit wird auch riskanter. Die Gefahr, nach zwölf Stunden Arbeit am Heimweg einen Unfall zu haben, ist doppelt so hoch wie nach acht Stunden. Die Leistungsfähigkeit sinkt, als Folge regelmäßiger Überstunden gibt es mehr Burn-Out. In Unternehmen ohne Betriebsrat besteht die Gefahr, dass früher bezahlte Überstunden in der Gleitzeit „verschwinden“. Arbeitsrechtliche Kontrollinstanzen werden ausgehebelt. Die Regierung plant auch Änderungen im Arbeitsruhegesetz, das trifft das Wochenende.

Durch die längeren Arbeitszeiten besteht die Gefahr, dass Frauen aus dem Berufsleben gedrängt werden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird für alle Eltern schwieriger. Gleichzeitig gibt es nicht mehr Kindergartenplätze – im Gegenteil, wie jüngste Kürzungen etwa in Oberösterreichzeigen. Alleinerziehende schlittern schneller in die Armut, Männer ohne Familie und Betreuungspflichten, die leichter länger bleiben können wenn es der Chef verlangt, werden bevorzugt. Klar ist auch: Wenn man drei Tage lang zwölf Stunden gearbeitet hat, ist es nicht vorbei. Die Ausweitung auf die 60 Stunden die Woche ist der heiklere Punkt, den es zu kommunizieren gibt.

…und Gleichstellung

Für die meisten Frauen geht die Arbeit nach der Lohnarbeit weiter. Frauen arbeiten im Schnitt 27 Stunden pro Woche unbezahlt, Männer nur elf. Auch bei den Überstunden sind Frauen die Leidtragenden: Der Anteil unbezahlter Überstunden liegt bei ihnen mit 27 Prozent deutlich höher als bei Männern mit 18 Prozent. Eine Zwölf-Stunden-Regelung wird die Geschlechterunterschiede verschärfen, denn ArbeitgeberInnen werden eher MitarbeiterInnen einstellen, die Überstunden leisten können statt Kinder von der Schule abzuholen.

Aus frauenpolitischer, arbeitsmedizinischer und arbeitswissenschaftlicher Sicht braucht es keine Verlängerung, sondern eine Verkürzung der Arbeitszeit. Die Entwicklung neuer Technologien und der digitale Wandel bringen enorme Produktivitätsgewinne, aber die Arbeitszeit wurde seit 40 Jahren nicht verkürzt. Mein Eindruck ist jedoch, dass die Forderung nach „30 Stunden“ für die breite Bevölkerung zwar eine gute Vision für die Zukunft ist, aber keine Antwort auf die aktuell geforderte 60-Stunden-Woche darstellt.

Worum es jetzt geht

Der 12-Stunden-Tag bzw. die 60-Stunden-Woche bedeuten Lohnraub und Raubbau an der Gesundheit. Diese Argumente tragen keine Parteifarbe, aber sie sind hoch politisch. Die Opposition darf bei diesem Thema nicht den Fehler machen, zu sagen: „Schwarz-Blau ist schlecht und wir sind besser“. Es geht jetzt darum, sichtbar zu machen, dass die Familie, die Freizeit und die Freiheit im Visier der Unternehmen stehen und die Politik einen bezahlten Rückwärtssalto macht.

Um den 12-Stunden-Tag noch zu verhindern, müssen wir in die Offensive und auf die Straße gehen. Wir müssen aber auch mit jenen unserer Bekannten reden, die nicht demonstrierten gehen. Dabei sollte jede und jeder von uns zehn Argumente parat haben, mit denen wir die Menschen in unserem Umfeld davon überzeugen können, dass der 12-Stunden-Tag gefährlich ist.

Auf diese Weise sprechen wir die Interessen und den unmittelbaren Alltag der Menschen an und verharren nicht nur im parteipolitischen Hick-Hack. Nur so können wir die Mehrheit auf unsere Seite bringen, unabhängig davon, was sie letzten Herbst gewählt haben.

Wir sehen uns am Samstag beim Protest – parteiübergreifend!