Über den Tellerrand – Krisenregionen in Coronazeiten
Heute ist International Earth Day. Wir dürfen nicht verkennen, dass wir alle auf einer Erde leben. Über den Tellerrand heute deshalb zum Thema Krisenregionen:
Die UNO warnt davor, dass sich die Zahl der unterernährten Menschen wegen der Coronavirus-Krise und ihrer wirtschaftlichen Folgen weltweit auf 265 Millionen verdoppeln könnte. Mit 73 Millionen Hungernden war Afrika im vergangenen Jahr am stärksten betroffen, gefolgt von 43 Millionen Hungernden im Nahen Osten und Asien. Besonders viele Menschen hatten laut dem aktuellen Bericht im Südsudan, im Jemen, in Afghanistan und in Syrien nicht genug zu essen. Hinzu kommt: Covid-19 könnte Bedingungen für soziale und politische Unruhen schaffen, vor allem in den am stärksten von Hungersnöten betroffenen Ländern. Durch die Folgen der Krise dürften vor allem Menschen in ärmeren Staaten leiden – insbesondere Kinder, Schwangere, stillende Frauen sowie Ältere sind betroffen. In Ländern mit schwacher Gesundheitsinfrastruktur droht zudem ein Zusammenbruch der Versorgung. Die Hilfsorganisation CARE warnte kürzlich vor einer Eskalation, wenn keine Vorkehrungen getroffen werden. Die Daten aus dem INFORM Global Risk Index sehen eine hohe Gefahr für Gewaltausbrüche für 15 Staaten. Zu den Hochrisiko-Staaten gehörten Syrien, der Iraq, der Jemen, Afghanistan, Somalia, der Sudan, der Südsudan, die Demokratische Republik Kongo, Äthiopien, Nigeria, Uganda, die Zentralafrikanische Republik, der Tschad, der Niger und Haiti. Dort besteht die Gefahr, dass das Corona-Virus auf bereits bestehende Krisen wie Krieg, Lebensmittel und zerstörte medizinische Infrastruktur trifft. Das New Yorker „International Rescue Committee“ (IRC) warnte, das durch neun Jahre Bürgerkrieg ruinierte Syrien weltweit zur schlimmsten Corona-Region werden könnte.
UNO warnt vor einer starken Zunahme von Armut und Hunger auch in der arabischen Welt infolge des Coronavirus. Wenn Öl langfristig an Wert verliert, wird das für Staaten wie den Iraq, Iran, Saudi-Arabien einen enormen Um,- und Einbruch bedeuten. Die meisten Infizierungen hat bisher das Königreich Saudi-Arabien, aber auch andere öl- und gasreiche Golfländer wie Katar, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate melden immer mehr Infizierte. Zur Pandemie gesellt sich also der Infarkt am Ölmarkt. Die ausbleibenden Niederschläge und die Anzeichen für einen weiteren Dürresommer im Zeichen der Klimakrise führen zu einem gefährlichen Mix. Die Menschenrechtsorganisation Survival International verweist zusätzlich auf die Gefährdung indigener Völker durch die Krise, etwa in Brasilien. Covid-19 sei besonders gefährlich für „unkontaktierte Amazonasvölker, die keine Abwehrkräfte gegen neu eingeführte Krankheiten haben“. Das Virus könne so ganze Völker auslöschen. Was heißt das für uns?
Auch wenn im Kampf gegen das Coronavirus viele Staaten in einer ersten Reaktion die nationalen Scheuklappen aufgesetzt haben, sind viele Politiker*innen mittlerweile zur Einsicht gelangt, dass diesen globalen Herausforderungen nur mit globalen Maßnahmen beizukommen ist. Wenn für manche Entscheidungsträger*innen Solidarität als solche kein ausreichender Beweggrund zu gemeinschaftlichem Handeln ist, dann sollte es zumindest Selbstschutz sein: Wenn das Virus auch nur in irgendeinem Teil der Erde weiterlodert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es wieder auch die übrige Welt betrifft. Die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft muss daher besonders jenen Ländern gelten, deren Grundversorgung auch ohne Pandemie schon im Argen lag und die im Kampf gegen Corona nun dringend finanzielle Hilfe benötigen. Ein Schuldenmoratorium für die ärmsten Länder der Welt und die Entscheidung des Internationalen Währungsfonds 25 Ländern des Globalen Südens eine Schuldenerleichterung zu gewähren, sind erste Schritte. Klar ist: Kriege und Krise im Doppelpack wirken wie Dynamit. Ich unterstütze den dringenden Appell des UN-Generalsekretärs António Guterres, der angesichts der gemeinsamen Herausforderung zu einem sofortigen weltweiten Waffenstillstand aufgerufen hat. Hier sind nicht nur die Konfliktparteien aufgefordert, sondern auch die Industrienationen angehalten, ihre Stellvertreterkriege durch zusätzliche Waffenlieferungen nicht weiter anzuheizen. Frieden ist das Gebot der Stunde. Darauf müssen wir pochen. Gerade am heutigen Tag dürfen nicht vergessen: Wir alle sind Erdenbürger*innen, wir alle sind gleich.
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