Grenzen, Grenzen überall
Die Polnische Armee hat mit dem Bau eines Grenzzauns an der Grenze zu Belarus begonnen – ein Treppenwitz der Geschichte.
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte Ende Mai angekündigt, dass Minsk Flüchtende nicht mehr an der Weiterreise in die EU hindern werde – als Reaktion auf verschärfte Sanktionen gegen die ehemalige Sowjetrepublik. Seitdem sieht sich vor allem Litauen mit einer Zunahme an Schutzsuchenden v.a. aus dem Nahen Osten konfrontiert. Zuletzt nahm auch der „Druck“ auf Polen zu – im Grenzgebiet spielen sich teils „verrückte“ Szenen ab. Eines vorweg: Menschen dürfen nicht zum Zweck geopolitischer Erpressung missbraucht und Belarus muss hier klar die rote Karte gezeigt werden. Aber dass die europäische Antwort darauf sich nach den all historischen Erfahrungen im Bau neuer Zäune erschöpft, stimmt nachdenklich.
- Nahe des polnischen Dorfs Usnarz Górny sitzen seit mehr als einer Woche 24 Geflüchtete aus Afghanistan und dem Irak, darunter auch Frauen und Kinder, im Niemandsland an der Grenze zu Belarus fest. Statt für diese kleine Gruppe (medizinische) Versorgung und Rechtsberatung sicherzustellen, verwehrt Warschau den zwei Dutzend Schutzsuchenden die Einreise und kündigt die Errichtung eines 2,5m hohen Grenzzaunes an. Das polnische Rote Kreuz gab gestern bekannt, man versuche schon seit einer Woche (sic!), Zugang zu den Personen zu bekommen, um sie mit Essen, Trinken und Schlafsäcken zu versorgen.
- Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat nun die polnische Regierung aufgefordert, den Betroffenen entsprechend der völker-und unionsrechtlichen Verpflichtungen rasch einen Zugang zum Asylverfahren inklusive adäquater Versorgung zu ermöglichen. Ebenso forderte Polens Bischofskonferenz die Regierung zur Aufnahme der Menschen auf. Polen ist so wie alle anderen EU-Mitgliedstaaten an die unionsrechtlichen Standards gebunden: Es darf zu keinen Pushbacks kommen.
- Gemäß internationalem und europäischem Flüchtlingsrecht, u.a. Genfer Flüchtlingskonvention, die auch Polen ratifiziert hat, darf das Land Flüchtlinge nicht bestrafen, auch nicht für einen irregulären Grenzübertritt und schon gar nicht für die perfiden Machtspiele des belarussischen Machthabers Lukaschenko, der wie Erdogan oder die marokkanische Regierung erst kürzlich in Ceuta auf inhumane Art, vulnerable Personen für politische Erpressungsversuche missbraucht.
- Höhere Zäune und neue Mauern sind kein effektives Mittel, um den Erpressungsversuchen des „letzten Diktators Europas“ Einhalt zu gebieten, sondern ein Zeichen, dass nachhaltige politische Strategien im Umgang mit autoritären Regierungen (siehe wirtschaftliche Verflechtungen europäischer Staaten mit Belarus) und in der Migrationsfrage in Europa fehlen. Lukaschenko nützt diese außen- und migrationspolitische Achillesferse, wir sollten sein menschenverachtendes Spiel nicht mitspielen.
- Wenn es wo Handlungsbedarf gibt, dann hier: Es braucht (endlich) eine geeinte, menschenrechtsbasierte EU-Außenpolitik und eine gesamteuropäische nachhaltige, krisenfeste Migrations-und Asylpolitik. Das Versagen der Union diesbezüglich rasch einen gemeinsamen und ganzheitlichen Weg zu finden, hat auch seine Nutznießer: Eine wachsende „Mauerbauindustrie“, die massiv von dem auf Abschottung verengten Blick in der Migrationsfrage profitiert. Diese „Industrie“ – darunter zahlreiche prominente Rüstungsfirmen – verdienen Milliarden vor allem mit der Bereitstellung von Radarsystemen, Überwachungskameras, Drohnen etc. für ein „Grenzmanagement“, das sich die EU immer mehr Geld kosten lässt. Die Industrie selbst wiederum beschäftigt Heerscharen an Lobbyisten, die dafür Sorge tragen sollen, dass die Entscheidungsträger*innen in Europa den für die Grenzsicherheitsindustrie so lukrativen Weg nicht verlassen.
Alles in allem: Es wird Mut und viel politischen Willen brauchen, um aus dieser Negativspirale auszubrechen und auf einen Weg zu kommen, der ein Weg des Humanismus ist, vereinbar mit jenen Werten, auf denen unsere europäische Gesellschaft aufgebaut ist und die EU zu dem gemacht hat, was sie ist. Gerichtet in die Zukunft, nicht zurück in die Vergangenheit.
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