Im süden der ukraine
Kurzer Schlaf in der Badewanne oder nachdem es in unserer letzten Nacht in der Ukraine immer wieder Raketen-Luftalarm gab, schlief ich im Badezimmer, weil es zwischen 2 Wänden oder im Schutzkeller sicherer ist. Während wir aber wieder abreisen, leben die Menschen hier seit 500 Tagen bald in ständiger Alarmbereitschaft & Angst um ihre Angehörigen. Ihre Widerstandskraft ist schlicht beeindruckend.
Kyjiw stand heute Nacht wieder unter Beschuss aber auch die Stadt Mikolajiw, die wir kurz davor besuchten oder Odessa, wo wir länger Halt machten wurden erneut massiv von Russland beschossen. In Kyjiw wurden heute Nacht alle Drohnen durch die Luftverteidigung abgeschossen, ein mulmiges Gefühl bleibt trotzdem: Was, wenn wir die Ukraine aufhören zu unterstützen und es keine Abwehr und Option auf Selbstverteidigung mehr gibt? Dann wird wohl das Land, wie es dem Kriegsverbrecher Putin vorschwebt, tatsächlich ausgelöscht. Das ist einer der Gründe, wieso ich bereits zum vierten Mal das Land im Inneren besuche – um zuhause und im restlichen Europa aufzurütteln, dass es hier um unseren gemeinsamen, europäischen Frieden geht. Um die Freiheit in ganz Europa und um das Völkerrecht, das der Kreml seit knapp 500 Tagen mit enormer Brutalität mit Füßen tritt.
In der Stadt Odessa treffen wir uns mit dem Gouverneur der Oblast Oleh Kiper, dann mit dem Bürgermeister der Stadt Gennadiy Trukhanov. Danach gibt es ein Treffen mit zahlreichen Abgeordneten des Regionalrats und abseits von intensiven Gesprächen über den Krieg und dessen Konsequenzen muss man eines anerkennen: all die Politiker:innen hier kämpfen unermüdlich & unter enorm schwierigen Umständen um den Erhalt der Demokratie. Nicht nur für die Ukraine, sondern für uns alle. Genau das verstehen jene nicht, die sagen, es geht uns nichts an. In Odessa gab es erst vor 2 Wochen einen Raketenangriff mit Toten und Verletzten. Die Angst sitzt den Menschen in den Knochen und doch versucht man, ein halbwegs „normales“ Leben zu führen. So gehen die Menschen mit dem Hund spazieren, fotografieren ihre Babies und bauen zerbombte Schulen wieder auf – diesmal mit einem Bunker, für den Fall des Falles.
Die humanitäre Situation ist wie die medizinische Versorgung am Limit. Wir bringen auch diesmal dringend benötigte Medikamente mit & sprechen mit dem Spitalsleiter in Mykolaiv über den weiteren und akuten Bedarf. Alleine in dieser Stadt wurden 16 von 21 Krankenhäusern & Ordinationen zerstört. Es fehlt das Notwendigste und auch Wasser ist ein rares Gut. Seit der Sprengung des Kachowka Staudamms gibt es zudem Viren und Seuchengefahr. Fakt ist: Der russische Kreml tötet hier mit allen Mitteln. „Glaube, Hoffnung, Liebe“ heißt dem entgegen das Frauenzentrum, das seit 2012 von Gewalt und Menschenhandel Betroffene betreut. Mit einem Stützpunkt in Odessa und 29 mobilen Beratungen sind insgesamt 250 Personen im Einsatz. Seit Kriegsbeginn ist die Situation vor allem für die Frauen in der Ukraine besonders prekär. Im Krieg steigt die Aggression, häusliche Gewalt nimmt zu und Gewalt in okkupierten Gebieten ist allgegenwärtig. Viele traumatisierte Frauen und Kinder landen hier und brauchen dringend Unterstützung. Wir haben Hygieneartikel und für die Kinder Süßigkeiten vorbeigebracht. Unsere Botschaft hat das Haus im Vorjahr mit 10.000 Euro unterstützt. Es wäre schön, wenn sich in Österreich Organisationen finden, die eine Partnerschaft mit dem Frauenhaus eingehen würden, bei Interesse bitte melden!
Im Dorf Shyroke wurden nur 4 Häuser NICHT zerstört. Schule, Kindergarten, Kulturhaus – alles wurde zerbombt, als wären das Militärstützpunkte. An der Frontlinie etwa 10 km weiter, standen Häuser unlängst 6m unter Wasser, weil 60km Fluglinie weiter eben der Kachowka Staudamm zerstört wurde. Das Leben kämpft sich trotzdem zurück: obwohl alle Felder hier weiterhin vermint sind und wir wegen Seuchengefahr das Wasser nicht trinken dürfen, kehren Menschen hierher langsam zurück. Diese Widerstandskraft hat Putin unterschätzt. Fahrt ins weitere Dorf: Snihurivka befand sich 8 Monate unter russischer Okkupation. Wir treffen den hiesigen Geschichtslehrer, der uns Häuser zeigt, wo seine Schüler:innen umgekommen sind. Seit Ende des Jahres ist das Dorf befreit, die Kinder die evakuiert wurden, kehren auch langsam zurück, aber es gibt kein Klassenzimmer mehr, sagt er, und: Bitte helft uns, diese Generation nicht zu verlieren.
Kornkammer Europas heißt Ukraine nicht umsonst und es sollte allen klar sein: Russland führt Krieg um Nahrung & wird den Druck auf Nahrungsmittelrohstoffe weiter erhöhen. Im Hafen Tisa besuchen wir den Getreideumschlagplatz „Grain from Ukraine“. 200.000 Tonnen Getreide wartet hier auf Ausfuhr. Seit 2 Monaten steht wieder alles still. Der viel gefeierte „Getreidedeal“ hat 1. dem türkischen Präsidenten Erdoğan, der Vermittler spielte, bei seiner Wiederwahl geholfen und 2. Russland noch mehr Macht verliehen, sagt man mir. So hat man seinen Einfluss auf weltweite Weizenvorräte ausgebaut & damit Rolle des Kremls bei globaler Nahrungsmittelversorgung gestärkt, um sich politische Unterstützung & harte Währung zu sichern. Währenddessen verlässt hier lediglich 1 Schiff pro Woche das Gewässer. Hinzukommt: Russland wollte den Hafen eigentlich mit einer Rakete zerstören. Diese wurde rechtzeitig abgefangen.
Am Ende noch ein intensives Gespräch über die Zukunft. Die Krim gehört ohne wenn und aber zur Ukraine, davon sind jedenfalls die Einwohner:innen überzeugt. Viele Menschen hat man erst aus Russland dorthin in kolonialer Manier umgesiedelt und sie davon profitieren lassen. Über die Repression & Situation auf der Krim beraten wir uns u.a. mit Tamila Tasheva, Ständige Vertreterin des Präsidenten der Ukraine für die Autonome Republik Krim. Fakt ist: Hätten wir 2014 bei der Annexion hingeschaut und aufbegehrt, statt Wladimir Putin gewähren zu lassen, wäre es zu Heute nicht gekommen.
Nicht zuletzt: Danke an alle unsere Begleiter:innen, ohne die wir all die Plätze nicht besuchen könnten. Danke an das Österreichische Außenministerium und Botschafter Arad Benkoe und sein Team für die beste Betreuung und auch ein großes Danke an den Übersetzer, die Fahrer, all die Helfer:innen, die ukrainischen Soldaten, die Menschen hier, die uns mit Fakten konfrontierten.
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