Türkischer Nationalismus
Der Sieger in der Türkei heißt türkischer Nationalismus oder vieles ist auch Vorort schwer nachvollziehbar aber eines ist klar: In der Türkei wird es nach dieser Wahl zu einem Rechtsruck kommen. Mit Sinan Oğan als Königsmacher bei den möglichen Stichwahlen werden beide Präsidentschaftskandidaten auf den Rechtsextremisten zugehen „müssen“.
Nationalistisch, rechtsextrem & ultranationalistisch: Drei von vier Allianzen in der Türkei vereinen mindestens eine rechtsextreme Partei. Alle drei relevanten Präsidentschaftskandidaten werden von rechtsextremen Parteien unterstützt. Manipulation, Betrug, Militarisierung und Einschüchterung durch den Staat sind nicht neu und trotzdem erfährt all das durch diese Wahl nochmals einen Push. Vor allem bei den Erdbebengebieten herrscht Ernüchterung: In 9 von 11 Provinzen im Erdbebengebiet ist Erdoğan Wahlsieger. Wir fragen die AKP-Wahlleiter in Ağrı, wie den Menschen, die ihre Häuser verloren gehen, überhaupt Wahlkarten zugestellt werden konnten, die lachen nur laut und glauben wir seien „Spione“. Es ist jedenfalls beeindruckend, wie die Menschen hier trotz Repression und 20 Jahre Regime-Propaganda um den Rechtsstaat & Menschenrechte kämpfen. Ich sprach mit vielen, die für Oppositionsarbeit im Gefängnis waren – „wir geben nicht auf“ ist der Tenor. Der Herausforderer Kılıçdaroğlu will zurück zur parlamentarischen Demokratie und sich wieder der EU annähern. Das wollen viele und doch sind alte und neue Strukturen nur schwer zu überwinden. In einem Dorf bei Adıyaman stimmt der Dorfvorsteher für die Wähler:innen in „seinem“ Dorf ab – mit der Begründung, dass er ja auch sonst für alles verantwortlich ist.
Erdoğan regiert seit Umbau zum Präsidialsystem am Parlament vorbei. Dort gibt es trotzdem eine knappe Mehrheit für seine Partei. Die Türkei ist im aktuellen Ranking bei Pressefreiheit auf dem 149. Platz von 180. So war es nicht überraschend, dass die regierungsnahe Nachrichten-Agentur Anadolu durchgehend vermeldete, dass Erdoğan klar führt, auch wenn dem die Oberste Wahlbehörde widersprach. Diese konnte irgendwann die Stimmen nicht mehr einspeisen in der Nacht – entsprechend verzerrt waren die Ergebnisse. Es wurde blockiert, wo möglich: In Ankara wurden bei 300 Wahlurnen und in Istanbul bei 783 Wahlurnen immer wieder Widerspruch eingelegt. Erdoğan weiß, dass er verloren hat und versucht seine Niederlage hinauszuzögern, heißt es. Denn: Kein Autokrat akzeptiert seinen Untergang, ohne Chaos zu stiften. Es ist so oder so ein wahrer Wahlkrimi im Gange: Während die Opposition „Hak, hukuk, adalet” (Recht, Gesetz, Gerechtigkeit) skandiert, liegt in einer etwaigen nächsten Runde alles in den Händen von einem Extremisten und Putin-Freund: „Ich werde Kılıçdaroğlu bei einer Stichwahl nur dann unterstützen, wenn die HDP aus dem politischen System ausgeschlossen wird“ sagt Sinan Oğan. Im CHP Headquarter ist man jedoch optimistisch: „Wir gewinnen, jetzt oder in der zweiten Runde“, sagt man mir hier.
Fakt ist bei allem undurchsichtigen Chaos: Weder war diese Wahl fair noch frei. Wahlbeobachter:innen sind für viele lästige „Ausland-Agenten“, die Arroganz der Herrschenden ist erschreckend. Bei einem Wahllokal hindert uns die Polizei mit Hand an der Waffe das Wahllokal zu betreten und mit Menschen zu sprechen. Bei den anderen wird verhindert, dass wir uns die Vorgänge genauer ansehen – Aufregung vor den Lokalen herrscht immer große. Die Auszählung nach den gestrigen Wahlen in der Türkei ist noch nicht ganz abgeschlossen. Ich breche jetzt weiter vom Osten nach Istanbul auf und werde von der Post-Wahl-Atmosphäre dort berichten.
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