Über den Tellerrand – Moskau, Überwachung und die FPÖ
Es gibt keine Blaupause für den besten politischen Umgang mit dem Virus, der mittlerweile die ganze Welt umfasst. Die Entscheidungsträger*innen sind gefordert, auf die Bedrohung zu reagieren. Die Art und Weise wie sie das tun, offenbart recht deutlich den grundlegenden Charakter des jeweiligen politischen Systems. Prinzipien, von denen sich Regierende leiten lassen, erlangen in der Krise ein noch größeres Gewicht: Regierungen, die die Bevölkerung auch in krisenfernen Zeiten als mündige und souveräne Bürger*innen betrachten, setzen in der Durchsetzung von Maßnahmen in Krisenzeiten auf deren Eigenverantwortung. Liberale Demokratien sind bemüht, bei der aktuellen Einschränkung von Freiheitsrechten mit Augenmaß vorzugehen und versehen diese mit einem Ablaufdatum – rechtsstaatliches Handeln ist oberste Maxime. Eine positive Entwicklung gibt es in der Krise auch: populistische „Siegertypen“ à la Bolsonaro und Trump entzaubern sich von selbst. Populist*innen schaffen in der Regel eine eigene Wirklichkeit, in der sie als einzige im Besitz der Wahrheit sind. Einen Wahrheitsbeweis antreten müssen sie dabei nicht, weil es für jedes noch so diffuse Problem ein Feindbild gibt. Das Coronavirus entzieht sich dieser Logik. Vladimir Putin ist ein Populist anderer Sorte: Nach jedem verfassungsmäßigen Auslaufen seiner Amtszeit hat er sich einen neuen Trick einfallen lässt, um darüber hinaus regieren zu können. Iwan der Schreckliche soll ihm kein Vorbild sein, dieser brachte es auf 37 Jahre. Wie agiert Putin aktuell und wie geht er mit dem Virus um? Da sich die politische Herrschaft in Russland auf ein Geflecht von Eliten stützt, die der restlichen Bevölkerung aufgrund ihrer unterprivilegierten Lage prinzipiell misstraut, wird hier auf umfangreiche Kontrollmaßnahmen gesetzt. Russlands Regierung nutzt die Gelegenheit, um gleich mal alle Überwachungstechnologien zu testen und –kapazitäten aufzubauen. Die Krise diene als riesiger Live-Test, so die Kritiker*innen. Sie befürchten, dass im Windschatten der Krise Überwachungssysteme, die selbst für russische Verhältnisse grenzwertig sind, von der Bevölkerung leichter akzeptiert werden.
Letzte Woche beschloss die Staatsduma hohe Geld- und Haftstrafen für „fahrlässiges Infizieren“ von Mitmenschen. Je nach Schwere des Vergehens, wenn eine Infektion etwa zum Tod führt, sind Strafen von bis zu sieben Jahren Haft möglich. Außerdem sind Geldstrafen von bis zu umgerechnet 22.800 Euro bei Verstößen gegen die Quarantäne vorgesehen. In Moskau will der Bürgermeister Sergej Sobjanin ein umfassendes IT-System durchsetzen: 175.000 städtische Überwachungskameras, kombiniert mit Handy- und Bankdaten aller Kartenzahlungen.
Überwachungsfanatiker wie der Moskauer Polizeichef Oleg Baranow fühlen sich in ihrem Element: „Es sollte keine dunklen Ecken oder kleine Nebenstraßen mehr ohne Kameras geben“. Die Registrierung auf dem städtischen Portal ist dabei verpflichtend. Dort bekommen die Moskauer*innen einen QR-Code, mit dem der eigene Wohnort verlassen werden darf und den die Polizei auf der Straße kontrolliert. Darüber hinaus ist zum Aufspüren von Infizierten und Menschen, die mit diesen in Kontakt waren, ein Screening der Sozialen Netzwerke geplant, sowie ein eigenes Trackingsystem. Mobilfunkbetreiber dürfen die Daten nicht anonymisieren, sondern müssen sie personenbezogen an den Staat weitergeben. Das System soll dazu dienen, SMS an Menschen zu schicken, die sich in der Nähe einer CoV-Träger*in befinden. Aber auch die Behörden bekommen eine Nachricht, damit sie betroffene Person unter Quarantäne stellen können. Zur besseren Überwachung der Corona-Infizierten wird auch eine Foto-Datenbank zur behördlichen Nutzung angelegt. Moskau ist nur ein Testpilot.
Fake News definiert der Kreml selbst und für die Verbreitung von Falschnachrichten gibt es nun noch höhere Strafen als zuvor – bis zu 57.000 Euro für einmal. Die Kontrolle macht auch vor dem deutschen Auslandssender „Deutsche Welle“ nicht halt. Russland wirft dem Sender vor, „falsche Nachrichten über das russische Vorgehen im Kampf gegen das Coronavirus verbreitet“ zu haben. Konkret geht es um einen Beitrag, in dem ein Aktivist die jüngst in Russland verabschiedeten Corona-Gesetze als Eingriff in die Meinungsfreiheit bewertet. Man hat hier eigene „News“: Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) hat in den letzten zwei Monaten 152 Fälle von Desinformation zum Coronavirus aus Kreml-nahen Quellen registriert. 39 Beiträge enthielten die Behauptung, dass das Virus als biologische Waffe in amerikanischen Laboren entwickelt worden sei. In 24 Beiträgen hieß es explizit, dass das Virus als Waffe gegen China eingesetzt worden sei. In 26 Beiträgen wurde das Narrativ verbreitet, dass die EU jetzt zusammenbreche. Medien und Politiker*innen stimmen in diesen Chor mit ein.
Ein erklärtes russisches Lieblingsziel von Desinformationskampagnen ist Polen. In einem Beitrag für das „Wall Street Journal“ nennt der Sprecher des polnischen Geheimdienstkoordinators einige Beispiele, wie ein angebliches Zitat des Gesundheitsbeauftragten für die italienische Region Lazio, wonach der polnische Zoll 23 000 Schutzmasken konfisziert habe, die eigentlich für das Covid-19-heimgesuchte Norditalien gedacht waren. Online aufgegriffen verbreitete sich die Geschichte wie ein Lauffeuer im Internet. Polen sah sich plötzlich am Pranger und wurde medial dafür geprügelt, Italien in der Stunde größter Not die Solidarität zu verweigern. Es stimmte nur nicht. Ebenso wenig wie die kolportierte Behauptung eines russischen Abgeordneten, Polen habe seinen Luftraum für Hilfsflüge russischer Flugzeuge nach Italien gesperrt, weshalb diese nun Polen umfliegen, was die dringend benötigte Unterstützung verzögere. Wieder wurde die Behauptung viral. Warschau bestellte daraufhin sogar Russlands Botschafter ein. Danach war der Tweet zwar gelöscht, doch die Geschichte war bereits in der Welt. Viele beklagten daraufhin Europas fehlende Solidarität. Der Strom der Desinformationen weist eine so eindeutige Richtung auf, dass vergangenen Freitag sowohl der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg als auch sein deutscher Amtskollege Heiko Maas Russland als eine der Hauptquellen von Fake News nannten und die Notwendigkeit einer verstärkten Koordination der anderen Länder bei deren Bekämpfung erklärten.
Was ist das Ziel des Des-Informationskrieges? Frei nach dem Prinzip „divide et impera“ sollen die Staaten in Europa untereinander zerstritten sein. Russland profitiert von neuen Verbündeten und kann so seine Interessen besser durchsetzen. Die Corona-Krise bietet dafür eine neue Trägerrakete. Die Sündenbock-Erzählung funktioniert gerade jetzt gut und auch hierzulande werden alte Freundschaften sichtbar: Die FPÖ lässt aktuell keine Gelegenheit aus, die Europäische Union zum Sündenbock für so manch ein Problem zu stempeln. Kaum überraschend, dass die FPÖ hier mit Putins „Einiges Russland“ gemeinsame Sache macht. Zur Erinnerung: Im Jahre 2016 hat der damalige FP-Chef Strache mit Putins Partei eine „Vereinbarung über Zusammenwirken und Kooperation“ unterzeichnet. Das Ziel ist u.a. die „Erziehung der jungen Generation im Geiste von Patriotismus und Arbeitsfreude“. Zeig mir deine Freunde und ich sag dir, wer du bist. Ihr erinnert Euch an das Moskauer Foto von Hofer, Strache, Vilimsky & Gudenus. Währenddessen nimmt die Pandemie auch in Russland ihren Lauf. Die Strategie im Umgang hat sich drastisch geändert. Gab es hier bis vor zwei Wochen offiziell noch gar keine Corona-Toten, sondern nur Menschen, die an Lungenentzündung starben, hält sich das Virus immer weniger an vorgegebene News. Im größten Land der Welt besonders beachtenswert.
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