Zerrissen zwischen Ost und West oder heute wählt auch Serbien und es ist das einzige europäische Land, das sich der EU-Außenpolitik, nämlich Sanktionen gegen Russland, nicht anschließt. Der Freund im Geiste von Viktor Orbán, der serbische Präsident Vučić, steht wie das Parlament zur Wahl. Auch einige Lokalwahlen finden statt, u.a. in der Hauptstadt Belgrad – was man dazu wissen sollte.

Der autoritär regierende Aleksandar Vučić bestimmt nun schon seit 2012 in wechselnden Funktionen die politischen Geschicke Serbiens. Seine Machtbasis ist die nationalistische SNS-Partei, deren Vorsitz er auch als Staatspräsident innehat. Die SNS durchdringt mittlerweile alle Sphären der staatlichen Verwaltung. So ist es in Serbien z.B. nur schwer möglich, ohne SNS-Parteibuch einen Job im Staatsapparat zu bekommen. Mit einem deutlichen Sieg in der ersten Runde möchte sich der Amtsinhaber nun eine zweite Amtszeit sichern: Die Wahl gewinnt, wer in der ersten Runde auf mehr als 50% der Stimmen kommt. Ansonsten gehen die beiden Erstplatzierten in eine Stichwahl. Aussichtsreichster Gegenkandidat ist Zdravko Ponos. Der ehemalige Generalstabschef hat sich als Reformer der serbischen Streitkräfte einen Namen gemacht.

Nach einem Jahrzehnt der Bedeutungslosigkeit sah es für die Opposition zunächst gar nicht so schlecht aus. Serbien erlebte in den letzten Monaten Massenproteste gegen den dortigen Lithiumabbau. Gerade das Umweltthema eignete sich, politikmüde Menschen aus ihrer Apathie zu rütteln: Viele Gemeinden haben Probleme mit der Verseuchung von Boden und Grundwasser. Investoren in Serbien mussten sich schließlich kaum an teure Umweltregeln halten. Im vorigen Jahr begann sich der Unmut darüber Bahn zu brechen, der Protest gegen ein Bergwerksprojekt am Unterlauf der Drina führte zu landesweiten Straßenblockaden. Schnell erkannte auch die Opposition in den Aktionen ihre Chance und knüpfte daran an: Sie versprach ein „grünes Serbien“, im Gegensatz zum „autokratischen“, „antidemokratischen“, „kriminellen“, „korrupten“ Regime. Aus Sicht der Opposition haben Vučić und seine Getreuen aus Serbien „einen Staat des organisierten Verbrechens gemacht“, der auf Geldwäsche von Drogengeschäften und illegalem Waffenhandel beruhe, einen „Parteistaat“, in dem ein Mann über alles entscheide. „Wenn sie die Macht verlieren, droht ihnen das Gefängnis“, sagt Ponos. Tatsächlich ist die Anzahl der bekannt gewordenen Affären regierender Politiker*innen, die bislang ohne jegliche juristische oder politische Konsequenzen bleiben, endlos.

So wie Victor Orbán in Ungarn hat auch Vučić in Serbien, sobald er an die Macht gelangt war, alles getan, um die Medienlandschaft des Landes systematisch in seine Gewalt zu bekommen. Zugleich hat er viele staatliche Institutionen zu Fortsätzen seiner „Serbischen Fortschrittspartei“ gemacht. Staatliche Ressourcen werden zu Parteizwecken missbraucht. Auch Geheimdienste, Polizei und große Teile des Justizsystems sind dem Staatspräsidenten untergeordnet. Autokratie funktioniert eben immer nach den gleichen Mustern. Unter anderem auch aus diesen Gründen boykottierte ein Großteil der Opposition die Parlamentswahlen im Juni 2020. Am Ende keine gute Idee: Vučić und seine SNS gewannen mit Dreiviertelmehrheit. Das war selbst für die serbische Scheindemokratie ein bisschen zu viel des Guten – in Brüssel und Washington reagierte man äußerst verschnupft ob des undemokratischen Gebarens in dem Land, das immerhin der EU beitreten will. Deshalb gibt es nun vorgezogene Parlamentswahlen.

Mit dem Ukrainekrieg wurden jetzt viele Hoffnungen der serbischen Opposition für diese Wahlen zunichte gemacht. Themen wie Korruption oder Umwelt sind nebensächlich geworden, die Außenpolitik bestimmt das Geschehen. Vučić gilt als Putin-Freund, der Kremlchef vielen Serb*innen als Held. Nirgendwo anders in Europa findet der russische Präsident eine solche Zustimmung wie in Serbien. Mehrere Städte haben Putin die Ehrenbürgerschaft verliehen, in den von Vučić kontrollierten Boulevardmedien gilt er als moderner Herkules im Kampf gegen den bösen Westen. Als „ideales Geschenk Putins für Vučić“ bezeichnet der serbische Publizist Nenad Kulacin in einem Beitrag für das Webportal von „Aljazeera Balkans“ denn gar den Ukrainekrieg: „Putins Invasion in der Ukraine kommt Vučić zupass wie eine unverhofft reiche Erbschaft. In Zeiten einer großen Krise wollen Wähler nicht experimentieren – und sind Regierungen nur schwer abzulösen.“ Die jüngsten Umfragen geben dem Publizisten recht. Wie Orbán hat sich auch sein serbischer Gesinnungsfreund Vučić flugs an die neue Situation angepasst: „Frieden. Stabilität. Vučić“, lautet die neue Losung des gewieften Politchamäleons auf den Plakaten seiner nationalpopulistischen SNS für die Wahlen am 3.April.

Objektiv gesehen ist Serbien in einer verzwickten Lage. Es ist absolut abhängig von russischem Erdöl und Gas, die Serbien zu „brüderlichen“ Preisen bezieht; Gazprom ist Mehrheitseigentümer des serbischen Energieversorgers NIS. Außerdem verhindert Russland mit seinem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat die Aufnahme des Kosovo, das Serbien nach wie vor als seinen Bestandteil betrachtet, in die Vereinten Nationen. Gleichzeitig will Serbien der EU beitreten, verhandelt darüber mit Brüssel seit 2014, hat in den vergangenen 15 Jahren allein aus dem EU-Heranführungsfonds knapp drei Milliarden Euro erhalten und ist damit der größte Nutznießer in der Region. Bei den Sanktionen gegen den russischen Aggressorstaat macht das Land allerdings nicht mit. Was mich kürzlich irritierte: Österreichs 🇦🇹 Bundeskanzler Karl Nehammer zeigte für diese Schlingerkurshaltung Verständnis. Ich kann diese nicht nachvollziehen und halte es hier mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock, die kürzlich nach einem Treffen mit Vučić in Belgrad erklärte, es seien jetzt „klare Worte und Taten gefragt“. Wer die europäischen Werte teile, könne nicht an der Seitenlinie stehen. Fakt ist: Wenn Serbien die Sanktionen gegen den brutalen und völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen Ukraine nicht mitträgt ist das für mich ein falsches und fatales Signal. In diesem existenziellen Ringen, wo es um die Zukunft Europas geht, kann sich Serbien nicht einfach durchschummeln. Das Land und seine politische Führung müssen sich entscheiden, auf welcher Seite der Geschichte sie stehen wollen. In diesem Sinne hoffe ich, dass Serbien sich für Europa und Demokratie entscheidet. Heute, morgen, überhaupt.