Frieden für alle
Frieden für alle oder im Zuge der Diskussionen der IPU-Versammlung rund um eine Verurteilung des russischen Angriffskrieges in Ukraine wurde der Schmerz der Welt spürbar.
Wieso habt ihr damals nichts gesagt? Wieso gibt es hierzu keine starke Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft? Zählen etwa europäische Leben mehr? Diese und ähnliche Fragen diskutierten wir ebenso die Tage beim Interparlamentarischen Treffen der 110 anwesenden Staaten, die um eine Resolution zum Ukraine-Krieg rangen und das zu Recht. Fazit: Der Krieg in Ukraine ist ein Verbrechen von globaler Dimension, doch dürfen wir das Leid der Menschen in anderen Regionen der Welt nicht ausblenden und müssen genauso dagegen aufstehen, wenn woanders Unrecht passiert. Ein Blick ÜberDenTellerrand.
Vergessener Krieg im Jemen oder seit sieben (!) Jahren bereits wütet der Krieg auf der Südspitze der arabischen Halbinsel. In dem Stellvertreterkrieg zwischen den Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien kamen bisher bereits 370.000 Menschen ums Leben, Millionen wurden vertrieben. Während der Iran die schiitischen Houthi-Rebellen unterstützt, führt Saudi-Arabien eine Gruppe sunnitisch geprägter Golf-Staaten im Kampf gegen diese Aufständischen an. Saudi-Arabien unterstützt damit die international anerkannte jemenitische Regierung von Abd-Rabbu Mansur Hadi, die von den Houthi-Rebellen Ende 2014 aus der Hauptstadt Sanaa vertrieben worden war. Die Houthi werfen Hadi Korruption und Misswirtschaft vor. Bemühungen der Vereinten Nationen und der USA, einen Waffenstillstand zu erreichen, waren 2021 gescheitert. Seitdem haben sich die Kämpfe verschärft.
Afghanistan oder seit der erneuten Machtübernahme der radikalislamischen Taliban Mitte August 2021 haben die Menschenrechtsverletzungen diverser Art in dem Land am Hindukusch zugenommen. Frauen dürfen ohne männliche Begleitperson nicht weiter als 45 Meilen (etwa 72 km) reisen und sie können in vielen Fällen nicht mehr zurück an ihre Arbeitsplätze. Viele flohen seit der Machtübernahme der Islamisten aus dem Land. Für die meisten sind die Grenzen zu. Während der ersten Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 waren Frauen und Mädchen praktisch vollständig von Bildung und Arbeit außerhalb ihres Hauses ausgeschlossen. Westliche Länder machen eine Anerkennung der Taliban-Regierung unter anderem von Fortschritten bei Frauenrechten abhängig: Eigentlich hätten die Schulen diese Woche auch für Mädchen wieder zugänglich sein sollen, doch es kam anders. Wenige Stunden nach der offiziellen Öffnung wurde der Beschluss wieder rückgängig gemacht – die Mädchen wurden nach Hause beordert. Es zerreißt einem das Herz, wenn man sie um ihre Zukunft weinen und ihre enttäuschten Hoffnungen sieht. Was sagt die Internationale Gemeinschaft dazu?
Myanmar oder im Februar putschte das Militär in dem asiatischen Land gegen die demokratisch gewählte Regierung unter Aung San Suu Kyi. Nach Angaben lokaler Organisationen wurden seit dem Putsch mehr als 1.600 (!) Menschen von Sicherheitskräften getötet und über 11.000 verhaftet. Bereits 2017 war das Militär in Myanmar gewaltsam gegen das dort beheimatete Volk der Rohingya vorgegangen. Etwa 850.000 Angehörige der staatenlosen muslimischen Minderheit flohen und leben seitdem in überfüllten Flüchtlingslagern in Bangladesch. Rund 600.000 Rohingya sind in Myanmar im südwestlichen Bundesstaat Rakhine verblieben, wo sie über verbreitete Unterdrückung berichten. 2019 wurde ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof gegen Myanmar wegen Völkermords an den Rohingya eröffnet.
Bitteres Jubiläum im Irak oder fast 20 Jahre ist es nun her, dass unter der Führung der USA ein sinnloser Krieg gegen den Irak begonnen wurde. Die USA verdächtigten den damaligen Diktator im Irak, Saddam Hussein, Massenvernichtungswaffen zu besitzen. Diese Anschuldigungen erwiesen sich als falsch. Die Regierung von Saddam Hussein wurde gestürzt, doch ist es seitdem nicht gelungen, eine stabile demokratische Regierung im Irak an die Macht zu bringen. Eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht. Auch wirtschaftlich steckt das Land tief in der Krise. Mehr als 6 Millionen Menschen waren 2014 durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ bzw. als Folge der Kämpfe zwischen IS und irakischen Regierungstruppen vertrieben worden. Die meisten sind zwar wieder in ihre Heimatorte zurückgekehrt, jedoch gibt es immer noch 1,2 Millionen (!) Binnenvertriebene im Irak. Mehr als 4 Millionen Menschen sind hier auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Am Afrikanischen Kontinent gibt es zur Zeit 9 Kriege und viele Konflikte, die mit Gewalt ausgetragen werden. Besonders davon betroffen sind die Republik Kongo, Äthiopien, Nigeria, Uganda, Somalia und der Sudan. Die Ursachen für die einzelnen Kriege sind dabei sehr verschieden. Somalia beispielsweise, ein Land mit rund 16 Millionen Einwohner*innen wird seit Jahren durch Anschläge der Terrormiliz Al-Shabaab erschüttert. Al-Shabaab kontrolliert weite Teile des Südens und der Zentralregionen. Sie verübt immer wieder Anschläge auf Sicherheitskräfte und Zivilist*innen. In dem Land am Horn von Afrika sind etwa 5,9 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, rund 2,2 Millionen befinden sich in einer Hungerkrise. Im Norden Ugandas waren Millionen Menschen mehr als 10 Jahre lang gezwungen, in Flüchtlingslagern zu leben. Nach dem Rückzug der LRA (Lord’s Resistance Army) aus Norduganda in die Nachbarländer DR Kongo und Südsudan im Jahr 2007 ist die Nachkriegsgesellschaft in der strukturschwachen Region noch immer vor die Herausforderung gestellt, den lange ersehnten Frieden zu wahren.
Auch in Tunesien das nach den arabischen Aufständen ab 2010 als einziges Land galt, das den Übergang zur Demokratie geschafft hat, gärt es wieder. Am Sonntag sind zum wiederholten Male Tausende Gegner von Präsident Kaïs Saïed auf die Straße gegangen. Die Demonstrierenden werfen ihm unter anderem vor, die Macht in dem nordafrikanischen Land an sich zu reißen. Saïed hatte im Juli 2021 unter Berufung auf Notstandsgesetze die Regierung und das Parlament des nordafrikanischen Landes entmachtet. Der Präsident regiert seither per Dekret. An der Küste des Landes sind – so wie im Übrigen in Libyen Migrant*innen und Flüchtlinge aus zahlreichen Staaten gestrandet.
In Syrien ist nun seit 11 Jahren Krieg. Im März 2011 war es in Syrien im Zuge der arabischen Aufstände erstmals zu Demonstrationen gegen den Diktator Assad gekommen. Dessen Sicherheitskräfte gingen mit größter Gewalt gegen die Proteste vor. Daraus entwickelte sich ein Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung, der bis heute andauert. Die Kriegshandlungen haben zwar stark nachgelassen, aber immer noch sterben Menschen. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sollen 2021 mindestens 3700 Menschen im Syrien-Konflikt getötet worden sein, darunter 1500 Zivilist*innen, 306 von ihnen Kinder. Knapp 300 Menschen wurden zu Opfern von Landminen. Vor allem im Nordosten Syriens leiden die Menschen immer wieder unter Angriffen von Extremisten des IS. Vor 3 Jahren verlor die Terrororganisation ihr selbsternanntes Kalifat, aber sie ist alles andere als besiegt. Eine schwere Wirtschaftskrise verschärft die Lage noch weiter. Hilfsorganisationen warnen vor einer neuen Hungerkrise. Hinzukommt: Syrien leidet in diesem Jahr unter der schlimmsten Dürre seit 70 Jahren, sagt die Hilfsorganisation „Aktion gegen Hunger“. Laut UN leben bereits rund 90% der syrischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Mehr als 14 Millionen Menschen brauchen akute humanitäre Hilfe.
Im Nordirak greift die türkische Armee mit Luft- und Bodenoffensiven immer wieder Ziele in den Kurdengebieten an. Der Wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages hatte in der Vergangenheit Zweifel darüber angemeldet, ob dieser militärische Einsatz mit dem #Völkerrecht vereinbar ist. In Nordsyrien sind türkische Truppen seit 2016 bereits mehrmals einmarschiert und halten Gebiete in der Grenzregion besetzt. Ankara bekämpft dort die YPG – die Regierung betrachtet die Kurdenmiliz als syrischen Ableger der der in der #Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Die Leidtragenden sind Kurden & Kurdinnen, auf die die Welt oft vergisst. Den Flüchtlingen aus Nordostsyrien wird bei uns in Europa gar gleich das Recht auf Schutz abgesprochen bzw. auf ihrem Rücken billige Politik gemacht.
Venezuela befindet sich inmitten einer humanitären Katastrophe. Mehr als 90% der Bevölkerung lebt in Armut, das Bruttosozialprodukt ist in den vergangenen Jahren massiv gesunken, in Krankenhäusern, Supermärkten und in Apotheken fehlt es am Nötigsten. 3,9 Millionen (!) Venezolaner*innen haben ihr Land wegen der katastrophalen Lage dort verlassen und leben und arbeiten nun meist in den Nachbarländern, ohne jedoch Asyl zu beantragen. Dabei ist Venezuela „reich“, verfügt es doch über die weltweit größten Erdölvorkommen. Das Land wird von der herrschenden Elite aber systematisch ausgeplündert.
Abseits des Ukraine-Krieges gehen auch in Europa die Krisenherde nicht aus. In Belarus ist die Lage nach wie vor angespannt. Machthaber Lukaschenko unterstützt Russlands Präsidenten Putin nicht nur im Krieg Moskaus gegen Ukraine. Er setzt Flüchtlinge an der Grenze zu Polen und Litauen als Druckmittel gegen den Westen ein. Er ließ ein westliches Passagierflugzeug entführen, um einen dort mitfliegenden Oppositionellen zu verhaften. Er lässt Regimegegner*innen erbarmungslos niederknüppeln, einsperren und foltern. Prozesse gegen Teilnehmer*innen an Demonstrationen sind an der Tagesordnung. Oppositionsführerin Tichanowskaja musste nach der Wahl rasch nach Litauen flüchten, ihre Mitstreiterin Kolesnikowa kam wie viele andere ins Gefängnis. Auch die Situation am Balkan kann jederzeit kippen, denn serbische Nationalisten wie Milorad Dodik arbeiten mit dem Wohlwollen des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić auf eine Zerschlagung #Bosnien-Herzegowinas hin. Die Trauer am Balkan ist nicht zuletzt auch deshalb spürbar, weil die Wunden der dort begangenen Verbrechen nie verheilt sind und zb der Genozid in Srebrenica in Vergessenheit geriet ohne jemals anerkannt zu werden. Bis heute kämpfen v.a. Frauen, die ihre Männer & Kinder sterben sahen und selbst brutalen Vergewaltigungen ausgesetzt waren, ums Überleben.
Diese Liste ist natürlich nicht vollständig. Ihr einziges Ziel ist es aufzuzeigen, dass Krieg, Verbrechen an der Menschlichkeit und Gewalt immer und überall zu verurteilen sind und wir stets für eine friedliche Welt einstehen müssen oder wie Juri Gagarin einmal sagte: „Die Erde ist zu klein für Konflikte und gerade groß genug für Zusammenarbeit“. Ich sage: Letztere braucht es angesichts der vielen Herausforderungen mehr denn je. Nur gemeinsam sind wir imstande Frieden zu sichern. Das ist unser Job.
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