Mit seiner Rede an die Nation hat der russische Präsident Putin kurz für Überraschung gesorgt. Der Premier Medvedev gab als Reaktion auf die angekündigten Verfassungsänderungen prompt den Rücktritt der gesamten Regierung bekannt. Er wolle dem Präsidenten Raum für die nun notwendigen Entscheidungen geben, begründete er diesen Schritt. Tatsächlich diente der Abgang Medvedevs vor allem als Blitzableiter für die steigende Unzufriedenheit in der Bevölkerung.

Ein ums andere Mal hat Putin seinen Landsleuten eine Verbesserung ihrer sozialen Lage in Aussicht gestellt. Nichts ist passiert. Im vergangenen Jahr sind die Realeinkommen gerade einmal um 0,2% gestiegen, während sie in den vergangenen fünf Jahren sogar um rund 10% zurückgegangen sind. Angesichts der Abhängigkeit der russischen Wirtschaft vom Erdöl- und Gassektor, eines investitionsfeindlichen, dafür aber korruptionsfreundlichen Klimas sowie der dämpfenden Wirkung internationaler Sanktionen wird sich an dieser Lage wohl so bald nichts ändern. Ausschließlich ausländische Mächte und deren einheimische Verbündete für die wirtschaftliche Misere verantwortlich zu machen, kommt mittlerweile nicht mehr sehr glaubwürdig rüber. Also mussten Medvedev und seine Regierung wohl als Sündenböcke für all diese Versprechen herhalten, die der Präsident gebrochen hat. Medvedev eignete sich ohnehin sehr gut dafür: Seit Kremlkritiker Aleksej Navalny in einem mittlerweile weit über 33 Millionen Mal angeklickten Video aufgedeckt hat, welch Reichtümer der Jetzt-nicht-mehr-Regierungschef angehäuft hat, war er ohnehin einer der unbeliebtesten Politiker des Landes. Putins treuer Freund fällt aber weich: Er wechselt als Vize-Vorsitzender in den nationalen Sicherheitsrat.

Das eigentlich spannende an Putins Rede waren aber die angekündigten Verfassungsänderungen. Unter anderem will dieser dem Parlament, der Duma, mehr Macht einräumen, während er die eigenen präsidentiellen Befugnisse beschneiden will. So sollen die Abgeordneten künftig den Premier und dessen Regierungsmitglieder bestimmen dürfen. Ein Recht, das bislang dem Präsidenten zustand. Die Amtszeit des Präsidenten selbst soll auf insgesamt zwei Perioden beschränkt werden und nur mehr Personen zur Verfügung stehen, die 25 Jahre durchwegs in Russland gelebt und nie einen ausländischen Pass oder eine Aufenthaltsgenehmigung in einem anderen Land besessen haben. Damit wären bekannte Kremlkritiker wie Michail Chodorkowskij oder Alexej Nawalny automatisch von einer eventuellen Kandidatur ausgeschlossen. Des Weiteren soll ein bisher beratendes Gremium, der sogenannte Staatsrat, aufgewertet und mit neuen Rechten ausgestattet werden. Insgesamt blieben die Ankündigungen aber vage. Wie Putins Pläne also konkret aussehen, darüber ließ er seine ZuhörerInnen im Unklaren. Und so sprießen die Spekulationen darüber, was Putin genau vorhat. Nimmt sich Putin das kasachische Modell zum Vorbild, wo ein Nursultan Nasarbajew nun nicht mehr als Präsident, dafür aber als Vorsitzender des Sicherheitsrats die Strippen zieht? Liebäugelt Putin mit dem chinesischen Modell und will in Zukunft als Chef der von ihm kreierten Regierungspartei „Geeintes Russland“ die Fäden in der Hand behalten? Wir wissen es noch nicht.

In einem sind sich aber so ziemlich alle politischen BeobachterInnen einig: Putins Umbau der Macht dient ausschließlich dem Ziel, sich diese auch über das Ende seiner Amtszeit als Präsident hinaus zu sichern. Keineswegs handelt es sich um eine Demokratisierung der Machtstrukturen an sich. Um dem ganzen Vorhaben aber einen möglichst demokratischen Anstrich zu verleihen, sollen die Verfassungsänderungen am Ende in einem Referendum vom Volk abgesegnet werden. Außenpolitisch spannend: Putin kündigte auch an, in der russischen Verfassung den Vorrang russischer Gesetze vor internationalem Recht festzuschreiben. Noch ist es in der Verfassung nämlich explizit gegenteilig geregelt. Theoretisch kann das alles Mögliche heißen: Russland erkennt die Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) nicht mehr an oder tritt aus der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aus, in die es gerade erst zurückgekehrt ist oder könnte in Zukunft die Entscheidungen des UN-Menschenrechtsausschusses ignorieren. Schon mehrmals hat das Land Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs oder anderer Institutionen wie die des Internationalen Seegerichtshofs nicht umgesetzt (Entschädigungszahlungen für Yukos-Aktionäre, Einschränkung des Wahlrechts für Strafgefangene, Freilassung ukrainischer Matrosen). Mit einer entsprechend ausgestalteten Verfassung wird sich diese Entkoppelung vom internationalen Recht nun noch besser rechtfertigen lassen. Für die Situation der Menschenrechte in Russland ist das ein denkbar schlechtes Omen. Die Zeiten, in denen sich die Opfer von Menschenrechtsverletzungen als letzten Ausweg an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden konnten – die meisten Beschwerden in den vergangenen zehn Jahren kamen aus Russland – sind damit vielleicht vorbei. Da gilt es wachsam zu bleiben.

Was bedeutet das für die österreichische Außenpolitik? Ungeachtet der wirtschaftlichen Schwäche hat Putin sein Land wieder zu einem wichtigen Akteur in der Weltpolitik gemacht. Nach dem Gewaltakt in der Ukraine lässt Putin auch in der arabischen Welt, von Libyen bis Syrien, seine Puppen tanzen. Auch in Lateinamerika und Afrika versucht der russische Präsident vorzustoßen, wo die erratische Außenpolitik der USA Spielräume aufmacht. Ohne die Einbindung der Interessen Russlands wird es also weder in Europa noch sonst wo auf der Welt zur einer friedlichen Beilegung von Konflikten kommen können. Da Russland offenbar vorhat, seine Politik zunehmend außerhalb eines internationalen „frameworks“ zu verfolgen, wird es umso wichtiger werden – bei aller berechtigten Kritik – Gesprächskanäle offenzuhalten. Wie im Regierungsabkommen festgehalten, gibt es bereits jetzt ein gut funktionierendes österreichisch-russisches zivilgesellschaftliches Forum, das sich im Bereich der Musik, Kunst und Kultur, Hochschulzusammenarbeit, Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft und Sport um den Ausbau der Beziehungen bemüht. Was die Sanktionen der EU aufgrund der völkerrechtswidrig erfolgten Annexion der Krim betrifft, so befindet sich Österreich im Gleichklang mit seinen europäischen Partnerländern. Sollte Russland Fortschritte in der Umsetzung der Minsker Vereinbarung machen, wird sich Österreich dafür einsetzen, die Sanktionen schrittweise aufzuheben. Faktisch gibt es keine Sicherheit in Europa ohne Russland. Mehr Demokratie täte Russland gut, auch für Europa.