Vor einem Jahr brannte das Flüchtlingslager Moria ab
Aus den Augen aus dem Sinn oder wieso sich für die dort Gestrandeten seit dem nichts verbessert hat.
13.000 Menschen mussten Hals über Kopf vor dem Feuer fliehen und verloren damit über Nacht auch noch das Wenige, das sie besaßen. Nach dem Brand ließ die griechische Regierung ein neues, provisorisches Lager aufbauen, das unter dem Namen Kara Tepe bekannt wurde. Wie NGOs regelmäßig berichten, steht dieses dem viel kritisierten Moria in seinen miserablen Lebensbedingungen aber um nichts nach. Zwar wurden einige Zelte durch Container ersetzt, aber sowohl Strom als auch Heizung sind Mangelware. Die direkte Lage am Meer, die keinen Schutz vor widriger Witterung bietet, lässt sich ohnehin nicht ändern. Obwohl diese Zustände lange Zeit im Blickpunkt der europäischen Öffentlichkeit standen und Verter*innen vieler Regierungen Abhilfe versprachen, bleibt die Lage für die Schutzsuchenden in Kara Tepe, besonders für vulnerable Gruppen wie Frauen und Kinder, damit bis zum heutigen Tag prekär. Einige hat man ohne Perspektive nach Athen verfrachtet, wo sie auf der Straße leben.
Im März dieses Jahres besuchte EU-Kommissarin Ylva Johansson die Insel und versprach der griechischen Regierung mehr als 155 Millionen Euro für den Bau von zwei neuen Lagern auf den Inseln Lesbos und Chios. Zumindest ersteres sollte bis September 2021 fertigstellt werden, ließ die griechische Regierung damals verlautbaren. Bis auf eine Mülldeponie ist davon bis dato wenig zu sehen. Dafür wurde heute bekannt, dass die zwei Lager auf Chios und Lesbos im Laufe des nächsten Jahres errichtet werden sollen, eines auf der Insel Samos wird am 18. September eröffnet. Fakt ist: Es besteht trotz vorhandener finanzieller Ressourcen keine Eile, menschenwürdige Lebensbedingungen für Flüchtlinge zu schaffen. Darüber hinaus zeigt sich am griechischen Vorgehen gut, in welche Richtung sich die europäische Asyl- und Migrationspolitik entwickelt hat. Die neuen Anlagen liegen weitab der Insel-Infrastruktur, schwer zugänglich. Zudem dürfen die Menschen diese nicht mehr einfach so verlassen, sitzen wie Gefangene fest. Als „geschlossenes Zentrum mit kontrolliertem Zugang“ wird die Einrichtung auf Samos treffenderweise auch vom griechischen Migrationsministerium bezeichnet.
Abschottung ist also die Devise. Dazu passt auch, dass es Journalist*innen oder NGOs erschwert wurde aus Flüchtlingscamps wie Kara Tepe zu berichten. Auch an den Außengrenzen wird dieser Ansatz verfolgt, zum Teil mit völkerrechtswidrigen Push-Backs – ob am Grenzfluss Evros oder in der Ägäis. Die Konsequenz dieses Vorgehens: Nur knapp über 5.000 Schutzsuchende haben es 2021 noch nach Griechenland geschafft, davon nur etwa 1.900 über das Meer (Quelle: UNHCR). Die Camps auf den Inseln sind deswegen aktuell auch vergleichsweise leer. Rund 6.600 Geflüchtete sind dort untergebracht, drei Viertel von ihnen in den sogenannten Hotspot-Lagern. Die Mehrheit von ihnen kommt aus Afghanistan (48%), gefolgt von Syrien (13%) und der DR Kongo (10%). Die Hälfte davon sind Frauen (21%) und Kinder (29%) [Stand: Mitte August, Quelle UNHCR].
Aus meiner Sicht kann es gerade aus menschenrechtlicher Sicht nicht zielführend sein, wenn Europäische Institutionen und Regierungen ihre Migrationspolitik auf Grenzschutz und Abschiebungen reduzieren. Kriege, fehlende Ressourcen oder auch politische Instabilität führten schon immer zu Fluchtbewegungen. Statt den Blick zu verengen, sollten wir in unseren Bemühungen einen ganzheitlichen und globalen Lösungsansatz wählen. Wir müssen Menschen Lebensperspektiven in einem Umfeld sozialer, wirtschaftlicher und politischer Stabilität ermöglichen – ohne Krieg, Verfolgung und Gewalt. Jene Menschen aber, die sich bereits in unserer Obhut und auf europäischen Boden befinden, sind mit Würde und Menschlichkeit zu behandeln. So wie es dem Geist der sechs Grundwerte entspricht, auf denen sich die Europäische Union gründet.
Aber weit gefehlt: Moria ist gefühlt mein eigenes Versagen und ein Versagen der heimischen, wie der europäischen Politik. Mir war es außer Sichtbarkeit schaffen und Aufrütteln kaum möglich, etwas nachhaltig zu verändern. Die Zelte aus Österreich wurden im Gatsch nicht aufgestellt, das Kinderzentrum betreut weniger Kinder als vor dem Brand. Moria wird uns in Europa alle stets an das politische Versagen erinnern, Menschen in Not und auf der Flucht sogar im Feuerbrand im Stich zu lassen. Nicht nur, aber besonders am heutigen Tag soll sich die gesamte Union für dieses unwürdige Verhalten beschämen. Die Fragen bleiben: Ist das die neue Normalität? Ist das der gewollte Umgang mit schutzsuchenden Menschen, die irregulär in die EU kommen, weil es keine legalen Zugänge mehr gibt und sind wir imstande einfach wegzusehen, weil es uns nicht betrifft?
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