Prag im Fokus der internationalen Außenpolitik oder nachdem die EU-Außen- und Verteidigungsminister:innen hier kürzlich zu Krieg & Krise beraten haben, gingen dieses Wochenende tausende Menschen gegen die Teuerung demonstrieren – einige der Gruppen klar den Kreml verteidigend. Ich selbst verbrachte die letzten zwei Tage in der Stadt – getragen von intensiven Debatten zur Zukunft Europas in Zeiten multipler Krisen. Ein Einblick:

Was uns nicht umhaut, das macht uns nur stärker. So könnte man salopp die Grundstimmung auf der Interparlamentarischen Konferenz zur Gemeinsamen Außen- Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union, von der ich gerade heimfahre, zusammenfassen. Etwas Positives vorweg: Seit einigen Jahren jagt in Europa eine Krise die nächste, doch hat unsere Gemeinschaft bisher die nötige Resilienz und auch geeignete Strategien gefunden, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Das oberste Ziel wäre also, dass sie auch diesmal gestärkt aus den aktuellen Krisen hervorgeht. Das Wichtigste dabei ist zweifelsohne Frieden zu schaffen und die allgemeine Teuerung sowie die daraus resultierende Armut mit allen Mitteln zu verhindern. Deshalb ist uns bei allen Differenzen klar: Die Idee eines freien, demokratischen Europas muss im Fokus unserer Debatten stehen.

Was auch klar ist: Der Weg aus den Krisen mag zwar ein harter sein, er ist aber ohne Alternative. Davon ist die überwiegende Mehrheit der über 120 Delegierten, mich inklusive, überzeugt. Die komplexe Natur der ineinandergreifenden Krisen – Pandemie, Krieg, Klimawandel und Ressourcenknappheit – bringt es mit sich, dass populistische Stimmen immer wieder einzelne Maßnahmen als Allheilmittel propagieren. So ist mitunter sogar aus der politischen Mitte zu vernehmen, die Sanktionen gegen Russland wären die Ursache des gegenwärtigen Übels – suggerierend, ohne diese könnten wir dort weitermachen, wo wir vor dem Ukrainekrieg aufgehört haben. Einige glauben gar, wenn die Ukraine jetzt kapitulieren würde, wäre alles wieder im Lot. Ich möchte daher zunächst einmal festhalten, dass die uns derzeit allen Kopfzerbrechen bereitende Inflation zunächst durch weltweit gestiegene Produktionskosten aufgrund der seit der Corona-Pandemie gestörten Lieferketten ausgelöst wurde. Eine massive Teuerung setzte bereits ein, bevor Präsident Putin seinen blutigen Feldzug gegen die Ukraine überhaupt startete. Die Rohstoffengpässe durch den Krieg in der Ukraine haben diesen bereits bestehenden Trend nur verstärkt. Hinzu kommt: Wenn wir diesen brutalen Bruch des Völkerrechts einfach so hinnehmen würden, öffneten wir die Büchse der Pandora, das Recht des Stärkeren würde fortan über internationales Recht triumphieren. Dann Gute Nacht, Europa. Ich würde ja auch nicht einfach die Vorhänge zuziehen, wenn ins Nachbarhaus ein paar Raubmörder eindringen und dabei klammheimlich hoffen, selbst verschont zu werden. Das ist weder moralisch vertretbar noch eine Perspektive für ein möglichst friedliches Zusammenleben auf diesem Planeten. Abgesehen davon wirken die Sanktionen gut: Die russische Wirtschaft ist, selbst nach eigenen (!) Angaben im Juli im Vergleich zum Vorjahr um 4,3 % geschrumpft. Anderen Prognosen zufolge wird sie dieses Jahr gar um bis zu 15 % schrumpfen, während die Wirtschaft der EU im zweiten Quartal um 4 % gewachsen ist. Exportkontrollen verhindern zudem, dass Russland Schlüsseltechnologien für seine Kriegsmaschinerie importieren kann. Selbstverständlich wirken Sanktionen auch auf diejenigen zurück, die sie verhängen, doch was wäre die Alternative? Die Wunschvorstellung, es möge alles wieder so sein wie früher und dazu stecken wir einfach den Kopf in den Sand ist keine. Wir müssen der Realität ins Auge sehen: Wir wurden wider Willen in einen Konflikt hineingezogen, der eine globale Dimension angenommen hat, und dieser Konflikt fordert seinen Preis. Der Bevölkerung darüber reinen Wein einzuschenken und die Folgen sozial wirksam abzufedern, ist jetzt das Gebot der Stunde.

Friedensverhandlungen müssen selbstverständlich das Ziel bleiben: Wir müssen jede noch so kleine Vermittlungsinitiative nähren, die längerfristig zu einer Beilegung des unsäglichen Krieges führen könnte. Ich befürchte, dass sowohl Putin als auch die ukrainische Führung derzeit zu nachhaltigen Verhandlungen nicht bereit sind. Die Gesprächsebenen sollten aber so gut es geht schon jetzt auf,- und ausgebaut werden, damit sie dann da sind, wenn es soweit ist. Bei all diesen Erwägungen und den einzelnen Lösungsschritten, die wir Parlamentarier:innen bei der Konferenz diskutierten, ließen wir uns stets von der Vision leiten, die Europäische Union stärker als je zuvor als globale Friedensakteurin zu verankern. Schließlich war genau das die originäre Basis dieser Gemeinschaft: Eine Gemeinschaft des Friedens und des gegenseitigen Respekts, die sich weltweit für die Stärkung und Festigung der Demokratie einsetzt. Damit das jedoch möglich ist, müssen die Menschen Vertrauen haben, dass wir Politiker:innen ihre Sorgen auch ernst nehmen. Dass wir die Teuerung abfedern, die Energiezufuhr sichern, dass wir Grenzen bei Preisexplosionen setzen, dass wir in Europa notfalls solidarisch die Ressourcen teilen und niemanden dabei vergessen. Die Menschen erwarten sich auch zurecht, dass wir gerade jetzt die Parteipolitik hintanstellen und über Parteigrenzen hinweg die besten Lösungen für den Weg aus den Krisen finden. Das ist nicht wenig, aber ohne die Zuversicht, all das meistern zu können, wird es auch keine Zukunft geben. Für mich ist klar, dass die beste Zukunft – trotz allem – in einem gemeinsamen, friedlichen Europa zuhause ist.