Ein Krieg endet nie mit dem letzten Schuss, sondern sucht auch die nachfolgenden Generationen solange heim, bis sich diese der – oft schmerzvollen – Vergangenheit stellen.

Auch 30 Jahre nach dem Bosnienkrieg das mit dem Massaker von Srebrenica, dem größten Kriegsverbrechen auf europäischem Boden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, seinen Höhepunkt erlebte, sind die Wunden nicht verheilt. Noch immer dominieren Nationalisten die Erzählung, welche den jeweils anderen zum Feindbild stempelt. Darüber und über die aktuelle Situation in Bosnien-Herzegowina konnte ich mich mit der Srebrenica-Überlebenden Selma Jahić austauschen. Selma hat es sich zur Aufgabe gemacht, Brücken der Versöhnung zu bauen – sie geht in Schulen und klärt auf, damit das Gift des Hasses möglichst nicht auf die Heranwachsenden überspringt. Eine tiefgehende gesellschaftliche Debatte bei Opfern, Tätern als auch ihren Nachgeborenen, welche zunächst einmal zu einer allgemeinen Anerkennung der Fakten führen würde, wäre ein erster notwendiger Schritt für ein friedliches Miteinander, sagt sie.

Momentan sieht es allerdings so aus, als ob die bosnische Reise in die Gegenrichtung gehen würde. Serbische Nationalisten arbeiten, sekundiert von Russland und sogar einigen EU-Staaten wie Slowenien oder Ungarn, anscheinend auf eine Zerschlagung Bosnien-Herzegowinas hin. Vor allem der bosnische Serbenführer Milorad Dodik bedroht mit seinen Aktivitäten das mühsam errungene Friedensabkommen von Dayton aus 1995. Vor einem Monat erklärte der 62-jährige Politiker die Einleitung der Abspaltung von der Zentralregierung. Das Parlament der Republika Srpska in Banja Luka beschloss daraufhin den Rückzug aus der gemeinsamen Armee, dem Justiz- und dem Steuersystem innerhalb von 6 Monaten. Erstaunlich, wie wenig darüber zu hören war – angesichts der Tragweite.

Wir sollten all das nicht unterschätzen: Genau solche Pläne für eine Teilung des Landes waren vor 30 Jahren der Grund für einen blutigen Krieg. Wenn Europa vor dieser gefährlichen Entwicklung, die sich vor unserer Haustüre abspielt, die Augen verschließt, riskieren wir ein böses Erwachen. Ich habe daher beschlossen, demnächst nach Sarajevo zu fahren, um im Gespräch mit den politisch Verantwortlichen vor Ort ein klareres Bild zu gewinnen. Fakt ist: Es braucht dringend rote Linien für die nationalistischen Zündler. Die EU sollte daher – so wie die USA es tun – rasch konkrete Handlungsoptionen einschließlich restriktiver Maßnahmen festlegen, um bei einer weiteren Bedrohung für die Stabilität und territoriale Integrität Bosnien-Herzegowinas entsprechend reagieren zu können.