In afrikanischen Staaten könnten nach Einschätzung der Vereinten Nationen mind. 300.000 Menschen am Coronavirus sterben. Die Pandemie drohe zudem 29 Millionen Menschen in extreme Armut zu stürzen, teilte die UNO-Wirtschaftskommission für Afrika (UNECA) heute mit – über den Tellerrand:

Auf den Kontinent gibt’s mit rund 17.200 bestätigten Fällen in 52 Ländern bisher weniger Infektionen als in anderen Regionen der Welt, trotzdem droht hier eine Katastrophe. Die vergleichsweise wenigen Fälle haben damit zu tun, dass wenig getestet wird und dass das Virus den Kontinent verzögert erreicht hat. Die Krise verschärft sich jedoch schnell. Ausbaden werden diese wohl vor allem die Armen, die sich nicht in Privatkliniken retten können und daher auch keine teuren Beatmungsgeräte zur Verfügung haben.

Die Gesundheitssysteme sind durch die Bank unzureichend. Ein Land wie Malawi etwa hat nur 30 Intensivbetten für 18 Millionen Einwohner*innen. Darüber hinaus ist die medizinische Infrastruktur angesichts anderer weit verbreiteter Erkrankungen wie Malaria oder Tuberkulose bereits jetzt schon strapaziert. Eine ausreichende Infrastruktur speziell für Corona-Diagnostik gibt es in keinem afrikanischen Land, in manchen Ländern gibt es überhaupt keine Möglichkeit zu diagnostizieren. Überall fehlt es an Laboren, die den Virusnachweis erbringen können und Intensivbetten, wo Patient*innen mit schweren Verläufen versorgt werden können. In Zentralafrika gibt es zudem sehr viele fieberhafte Erkrankungen, deren Symptome ähnlich wie bei Covid-19 sind.

Mit Ausgangssperren versuchen nun die meisten afrikanischen Länder eine Ausbreitung der Pandemie zu verhindern. Die Sicherheitskräfte greifen dabei massiv durch, wie auch der jüngste Amnesty-Jahresbericht für Afrika drastisch zeigt: In Südafrika wurden Gummigeschosse gegen Obdachlose eingesetzt. In Kenia setzten die Sicherheitskräfte Tränengas ein, verprügelten Leute, peitschten sie aus und schossen sogar mit scharfer Munition, um Menschen auseinanderzutreiben. „Es sind zum Teil mehr Menschen durch die Gewalt des Militärs gestorben, als durch das Virus“, sagt Bettina Rühl, Journalistin in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Vielerorts wird die Krise auch genutzt, um gegen erklärte „Gesellschaftsfeinde“ vorzugehen. So wurde COVID-19 in Uganda zum Vorwand genommen, um Homosexuelle zu verhaften. In Niger wurde ein Journalist verhaftet, weil er über einen Verdachtsfall von COVID-19 berichtete. Hinzu kommt: Ein großer Teil der Menschen arbeitet von Tag zu Tag. Ab dem Zeitpunkt, wo die sie zu Hause bleiben, können sie ihre Familien nicht mehr ernähren. „Lieber an Corona sterben, als an Hunger“, sagen deshalb viele. Die Regierungen ziehen diesen Umstand zum Teil auch ins Kalkül. In Ägypten, wo ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt und sich ohne Arbeitsverträge, Kranken- oder Pensionsversicherung durchs Leben schlägt, gilt die Ausgangssperre deshalb nur nachts.

Wie überall greift das Corona-Virus nicht nur die Menschen, sondern auch die Wirtschaft an. In Afrika macht es den zarten Aufschwung zunichte, den einige Länder des Kontinents zuletzt verspürt haben. Ethiopian Airlines zum Beispiel war für viele Afrikaner*innen eine Erfolgsstory. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich die Fluglinie nach Anzahl der angeflogenen internationalen Ziele zur viertgrößten der Welt. Aufgrund der Pandemie belaufen sich die Verluste bereits auf 190 Millionen US-Dollar. Sie steht damit vor dem Ruin und mit ihr Äthiopiens Wirtschaft, die von den Devisen der Airline abhängig ist.

Laut einer Untersuchung der Afrikanischen Union gefährdet die Pandemie rund 20 Millionen Arbeitsplätze. Länder, deren Einnahmequellen überwiegend aus dem Tourismus und dem Ölbusiness stammen, sind von den Auswirkungen besonders stark betroffen. Laut Studie wird es starke Ölpreisrückgänge geben, die Länder wie Nigeria und Angola schwer treffen könnten. Zudem könnten die Reisebeschränkungen den afrikanischen Tourismussektor mindestens 46 Milliarden Euro und mindestens zwei Millionen direkte und indirekte Arbeitsplätze kosten. Es wird erwartet, dass der Afrika einen 35-prozentigen Rückgang der Ein- und Ausfuhren in einer Höhe von mehr als 247 Milliarden Euro verzeichnen wird.

Angesichts der ausbleibenden Einnahmen droht also zusätzlich auch eine neue Verschuldungskrise. Da bleibt dann wie es aussieht wenig finanzieller Spielraum, um die direkten Folgen der Corona-Krise zu meistern. In Kenia beispielsweise gehen bereits jetzt 60% des BIP in den Schuldendienst. Wenn jetzt noch mehr Belastungen hinzukommen, wäre das für das Land eine Katastrophe. Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, hat daher einen Schuldenerlass nicht nur für afrikanische, sondern überhaupt für ärmere Länder gefordert. Nur so könnten diese die Folgen der Pandemie meistern. „Viele Entwicklungsländer werden es schwer haben, soziale Programme aufzulegen“, sagte er. „Für diese Länder ist ein Schuldenerlass unumgänglich, damit sie in der Lage sind, sich um ihre Bevölkerung zu kümmern und den wirtschaftlichen Kollaps zu verhindern.“ Einem solchen könnte dann nämlich auch ein politischer folgen: „Ich mag mir nicht vorstellen, was geschieht, wenn […] Staaten unter dem Druck der Krisenfolgen zusammenbrechen“, sagt der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller unlängst. „Chaos bis hin zum Bürgerkrieg und Flüchtlingswellen wären die Folge. Dies alles betrifft auch uns.“

Es gibt also Politiker*innen, die haben es verstanden: Diese Krise ist eine globale Krise und sie lässt sich nur dann lösen, wenn die Weltgemeinschaft zusammenarbeitet – in Bezug auf die Pandemie als auch auf deren wirtschaftliche, soziale und politische Folgen. Es ist daher höchst an der Zeit, die nationalen Scheuklappen abzulegen. Die Staaten müssen sich gegenseitig helfen und sich besser abstimmen. Es reicht nicht, die Pandemie nur in Österreich oder Europa zu stoppen, wir müssen sie weltweit beenden. Österreich will die WHO daher mit zwei Millionen Euro unterstützen, wovon jeweils eine Million für Afrika und die andere für den Nahen Osten vorgesehen ist. Außerdem fördert Österreich die Ausweitung der Medizin-App „MedSher“ auf ebendiese Regionen. Damit soll es 150.000 Ärzt*innen und anderem medizinischen Personal ermöglicht werden, sich online zu Behandlungsmethoden und Erfahrungen im Umgang mit dem Corona-Virus auszutauschen. Darüber hinaus unterstützt das österreichische Rote Kreuz seinen internationalen Dachverband in der Bemühung, eine rasche Corona-Hilfe für Afrika zu organisieren, mit zwei Abgesandten in Nairobi. Auch auf EU-Ebene bewegt sich etwas. Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen gab am Dienstag bekannt, Drittstaaten im Kampf gegen die Corona-Pandemie mit 15 Milliarden Euro unterstützen zu wollen: „Afrika und unsere Nachbarschaft könnten in wenigen Wochen vor den gleichen enormen Herausforderungen stehen wie die EU“, sagte sie.

Parteien wie die FPÖ haben den notwendigen Schulterschluss aller Weltregionen nicht begriffen. „Wir müssen den Kampf gegen das Virus und gegen die daraus folgende Wirtschaftskrise zuerst auf unserem Kontinent meistern, bevor wir Ländern in Afrika Versprechungen geben“, meinte kürzlich EU-Abgeordneter Harald Vilimsky. Ich antworte darauf: Es kann hier kein „entweder-oder“ geben, sondern nur ein „sowohl-als auch“.