Das Land tritt offiziell aus der Istanbul-Konvention aus, Journalist Deniz Yücel wird der Prozess gemacht, der Druck auf die HDP steigt.

Das Vorgehen des türkischen Präsidenten Erdoğan gegen seine Kritiker*innen sowie überhaupt gegen alles, was ihm gesellschaftspolitisch unliebsam ist, hat immer das gleiche Muster: Sobald eine Person oder ein Thema ins Visier des Präsidenten gerät, wird die Justiz dagegen in Gang gesetzt. Diese lässt sich leider entgegen eindeutiger Verfassungsbestimmungen nur allzu oft für diesen vorsätzlichen Missbrauch der Gewaltenteilung vor den Erdogan-Karren spannen. Demnächst wird in der Türkei ein neues Verfahren gegen den Journalisten Deniz Yücel stattfinden. Die Staatsanwaltschaft wirft Yücel öffentliche Herabwürdigung der türkischen Nation und des türkischen Staates vor. Zudem wird ihm Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten zur Last gelegt. Yücel war bereits ein Jahr lang in der Türkei inhaftiert, konnte zwar ausreisen und lebt seither in Deutschland aber das bewahrt ihn nicht vor Verfolgung.

Ein weiterer Tiefpunkt in der ohnehin miesen Menschenrechtsbilanz der Türkei wurde heute erreicht. Mit 1. Juli ist das Land, als erstes und einziges übrigens, offiziell aus einem internationalen Abkommen zum Schutz von Frauen vor Gewalt – der Istanbul Konvention – offiziell ausgetreten. Das internationale Abkommen war 2011 vom Europarat ausgearbeitet worden. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen und dazu einen Rechtsrahmen zu schaffen. Mit diesem Schritt biedert sich Erdogan konservativen Kreisen an, die in dem Abkommen eine Gefahr für die traditionelle Familie sehen, unter anderem deshalb, weil laut Konvention Homosexuelle NICHT diskriminiert werden dürfen. Das ist ein massiver Anschlag auf den Gewaltschutz und auf das Grundrecht von Frauen, ein Leben in Sicherheit und frei von Gewalt zu führen. Zudem ist dieser Schritt ein offenes Eingeständnis darüber, dass Bürger*innen in der Türkei nicht die gleichen Rechte besitzen. Gewalt- und Diskriminierungstätern wird hier signalisiert, dass Übergriffe akzeptiert sind und ohne Konsequenzen bleiben, sofern sie gegen Frauen und Minderheiten gerichtet sind.

Aus all diesen Gründen ist es daher wieder an der Zeit, unsere ausdrückliche Verbundenheit mit der türkischen Opposition, die auch wieder einmal besonders unter Druck steht, zu bekunden. Wenn Erdogan sein Dauerfeuer auf die oppositionelle HDP fortsetzt und deren Verbot mithilfe der willfährigen türkischen Justiz durchzieht, ist das der letzte Schritt zu einer lupenreinen Autokratie. Ich werde nicht müde zu wiederholen: Eine demokratisch legitimierte Partei auf diese Weise mundtot machen zu wollen, ist ein unerhörter Schritt. Ich verurteile die laufenden Repressionen gegen die HDP deshalb aufs Allerschärfste und erkläre mich mit dieser solidarisch. Die Entscheidung der türkischen Bürger*innen, welche die prokurdische Partei als ihre Vertretung ins Parlament gewählt haben, kann nicht durch einseitige Handlungen eines Präsidenten widerrufen werden.

Fakt ist: Durch all diese Entwicklungen geht das Vertrauen in eine gute internationale Zusammenarbeit verloren. Will Präsident Erdogan weiterhin mit Europa im Geschäft bleiben, muss die Einhaltung demokratischer Mindeststandards eine Grundvoraussetzung sein.