Gift und Gegenangriff
Wladimir Putins Rede an die Nation oder 8 Monate nach dem Anschlag auf den Oppositionspolitiker Alexei Nawalny herrscht Alarmbereitschaft. Alles nur übliches Kräftemessen vom Kreml?
Bereits im Herbst äußerten sowohl die EU als auch Österreich Sorge hinsichtlich der Entwicklungen in Russland und kritisierten den Giftanschlag aufs Schärfste. Es ist alarmierend, mit welchen Instrumenten Putin versucht, die Opposition stummzuschalten und in welchem Tempo ihre Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt werden – so der Tenor. Die Menschenrechte und demokratische Freiheiten werden weiter abgeschafft und Russland bewegt sich Schritt für Schritt in Richtung eines totalitären Staates – so die Schlussfolgerung.
Als Nawalny im Januar 2021 nach seiner Genesung wieder nach Russland zurückkehrte, wurde er umgehend verhaftet. Aus Solidarität wurden in ca. 150 Städten Demonstrationen veranstaltet – eine Verhaftungswelle war die Antwort. Die Unterdrückung kritischer Stimmen sowie die Verletzung des Rechts auf Meinungs- Versammlungs-, und Pressefreiheit können wir nicht gutheißen. In diesem Zusammenhang forderte u.a. auch Österreich Russland dazu auf, seinen Verpflichtungen aus der EMRK und der OSZE nachzukommen. Um hierzulande Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken, habe ich einen entsprechenden Antrag im Parlament eingebracht.
Da Nawalnys Gesundheitszustand sich im Gefängnis weiter verschlechterte, wurde er in das Gefängnisspital verlegt. Hier bleibt ihm bis heute der Kontakt zu seinen Ärzt*innen verwehrt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte jüngst im EU-Minister*innenrat, dass diese inadäquate medizinische Versorgung inakzeptabel sei und forderte die unverzügliche und bedingungslose Freilassung Nawalnys. Die EU hat im Rahmen ihrer weltweiten Sanktionsregelung im Bereich Menschenrechte bereits vor Wochen Sanktionen gegen vier Personen verhängt, die an der Verhaftung, Strafverfolgung und Verurteilung von Nawalny beteiligt waren.
Geopolitisch spitzt sich die Lage und der Machtkampf zu und das Risiko einer Eskalation steigt: Russland hat mehr als 150.000 Soldat*innen an der Grenze zur Ukraine und auf der annektierten Halbinsel Krim stationiert – der größte russische Militäraufmarsch an ukrainischen Grenzen, denn es je gab. Vor ein paar Tagen hat Tschechien aufgrund von Spionagevorwürfen 18 russische Diplomat*innen aus dem Land verwiesen. Kurz vor Putins Rede wurden zwei Nawalny-Mitarbeiterinnen festgenommen. Für den Abend sind erneut landesweite Proteste gegen die Regierung angekündigt. Bereits jetzt gibt es hunderte Verhaftungen.
In der „Rede an die Nation“ selbst ging es viel um Eigenlob, wenig drehte sich um Außenpolitik. Fast demonstrativ sprach Putin eine Stunde lang nur über innere Angelegenheiten – trotz der aktuellen Auseinandersetzung in der Ostukraine und dem zunehmend angespannten Verhältnis zur EU, den USA und der NATO. Applaus erntete er für Drohungen ans Ausland – man lasse sich nicht provozieren, so Putin demonstrativ. Russland wünsche sich zwar ein gutes Verhältnis mit anderen Ländern, aber er warnt uns davor, dass kein Staat Russlands rote Linien überschreiten sollte. Was Putin damit meint, ließ er (bewusst) offen.
Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass Russland den versuchten Giftmord an Nawalny transparent untersuchen lässt und mit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) zusammenarbeitet. Ich bin weiterhin dafür, Klartext zu reden und sich nicht von Drohgebärden einschüchtern zu lassen. Ich bin davon überzeugt, dass wir auch von Russland die Wahrung der Menschenrechte einfordern müssen. Trotzdem: Unser oberstes Ziel sollte Deeskalation sein. Dem verbalen Aufrüsten darf kein Aufschlag folgen.
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