Kirgistan Mon Amour
oder wie es passieren kann, dass man sich auf den ersten Blick in ein Land verliebt.
Bischkek, Winter 2021. Die Luft ist dick, der Himmel benebelt, der Geruch stechend – es schmeckt nach meiner Kindheit im Osten Europas und es ist der Kohle-Feinstaub, der hier allgegenwärtig ist. Die Bevölkerung arm, bunt, jung, aufmüpfig und bescheiden zugleich. „Wir wollen eine Demokratie sein“, sagt die Frau an der Saft-Theke betont in Englisch, obwohl ich russisch zu ihr spreche. Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1991 wurden bereits drei Präsidenten gestürzt. Das Land kämpft bereits drei Jahrzehnte lang um Demokratie und tatsächlich ist es der demokratischste Staat hier in der Region – umgeben von Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan & China.
Der amtierende Präsident Sadyr Dschaparow hatte freie und faire Wahlen versprochen. Stattdessen wurden zwei Tage vor der Wahl 15 Menschen verhaftet. Bei unserem OSCE-Briefing ist das kein Thema – die Parteien-Vertreter*innen, die sich der Delegation vorstellen, bleiben gelassen. Ein Putsch, wieder? Keine*r will daran glauben.
In Kirgistan findet wieder eine Parlamentswahl statt. Der Staatschef war selbst erst vergangenes Jahr nach Unruhen an die Macht gekommen, nachdem er zuvor eine Gefängnisstrafe wegen Entführung abgesessen hatte. Die Opposition wirft ihm vor, die Fehler seiner Vorgänger zu wiederholen, indem er potenzielle Konkurrenten verhaften lässt. Er selbst verteidigt das Vorgehen: Die jungen Leute hätten nach der Wahl Massenproteste geplant, die nationale Sicherheit wäre gefährdet. Alles in allem: Die nächsten Tage werden spannend (und kalt).
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