Der Faschismus lebt oder ich weiß, es ist Sommer und viel los aber ich bin überzeugt: Nur wenn wir wissen, wie Vergangenheit möglich war, können wir Herausforderungen der Gegenwart bewältigen. Damit unsere Gesellschaft aufgrund multipler Krisen nicht kippt, ist es unvermeidlich die Massenpsychologie des Hasses zu verstehen – Gespräche in Prijedor.

Der letzte Mohikaner ist er, zerrissen zwischen „krankem Optimismus und brutaler Realität“, sagt Sudbin. 43 Kilo wog er, als er endlich befreit wurde. Wie er überlebt hat? Ein Serbe hat ihm, einem Bosniaken, in einem Krieg der ethnischen Säuberungen das Leben gerettet. Das schlimmste Erlebnis? „Ich habe meinen Vater aus dem Brunnen geholt und seine Knochen einzeln zusammen getragen“, erzählt uns der Überlebende des Lagers Trnopolje bei Prijedor in der Republika Srpska. In seinem Dorf allein wurden 413 Menschen ermordet. Zuletzt entdeckte man Ende 2013 ein Massengrab. Sudbin fand 41 seiner Nachbar*innen darin.

Er habe „dreimal Glück“ gehabt: Zunächst habe er die Massaker überlebt, dann das KZ/Gefangenenlager Trnopolje und letztendlich auch die Verschleppung ins Landesinnere. Er habe nichts mehr zu verlieren, sagt er „ohne jeglichen Hass“. Was viele nicht wissen: In der Großgemeinde Prijedor hat 1992 eines der größten Massaker des Balkankrieges stattgefunden. 1996 wurden die leeren Dörfer gesprengt, um die Rückkehr der Bosnier zu verhindern, um Spuren zu verwischen. Heute will niemand mehr hören, was hier geschah. Auf dem Gelände der Lager entstanden neue Fabriken „als wäre nichts gewesen, dabei haben alle gewusst, was hier passiert“. Aber: „Ohne Versöhnung kein Frieden“, sagt Sudbin nachdenklich. Er wollte nie zu einem „Kollateralschaden“ werden und hofft, dass sich sein Überlebenswille und sein Engagement in der Gemeinde irgendwann „für die Jugend“ bezahlt machen. Für diese wünscht er sich ein Leben in Freiheit und eine bessere Zukunft mit Perspektiven. Diese sieht er vor allem in einer EU-Mitgliedschaft Bosniens. „Vielleicht wollen dann nicht alle weg.“. Er kam auch deshalb zurück.

Dafür arbeitet auch das Jugendzentrum KVART. Die größte Herausforderung ist die Vergangenheitsbewältigung, selbst ein Denkmal für die ermordeten Kinder aus Prijedor harrt aus politischen Gründen der Umsetzung. „Es braucht eine würdige Gedenkkultur, denn ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft“, sagen auch die zwei Aktivist*innen, die wir treffen. Nur: Kaum schreiben sie etwas auf Social Media dazu, werden sie beschimpft und bedroht, denn: „Moralisch wurde der Krieg nicht aufgearbeitet, es ist trist“. Sogar für LGBTIQ-Rechte könne man sich in der Republika Srpska einfacher einsetzen, als für Gedenken an den Krieg. Was wir tun können, frage ich. „Erzählt von unserem Leben hier, vom Glauben an Frieden, wo nicht ein Nachbar den anderen aufgrund der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit hasst“. Das tue ich hiermit. Auch in der Hoffnung, dass diese Geschichten uns in Europa eine Mahnung sein werden – Stopp zu sagen, schon bei leisem Brodeln, wenn Hass auf „die anderen“ geschürt und Feindbilder kreiert werden. Aufzuschreien, wenn Leid und Krieg wieder Einzug halten und Kriegsverbrechen wieder geschehen.

Was bleibt: Danke an unsere Gesprächspartner*innen für das Vertrauen – ich nehme viele Erkenntnisse für meine politische Arbeit mit nach Österreich. Hvala.