Meine außenpolitische Reise in die Autonome Region Kurdistan im Nordirak und vor allem der Besuch in der Region Rojava im Nordosten Syriens ist nicht in ein Posting zu packen. Danke an den außenpolitischen Sprecher der ÖVP Reinhold Lopatka fürs Dabeisein und die spannenden Debatten am Rande und Thomas Schmidinger für die Begleitung und Organisation. Der Regionalregierung Kurdistans im Irak danke ich für die gute Versorgung bis zur syrischen Grenze. Im ersten Teil lege ich den Fokus auf die Situation der Kurd*innen im Gebiet, die Rolle der Türkei im Konflikt und die Frage, was zur Stabilisierung beitragen kann.

GESCHICHTLICHES BIS HEUTE

Die Situation der Zivilbevölkerung im nordostsyrischen Kampfgebiet ist weiterhin katastrophal. Im Oktober 2019 begann die türkische Armee Luft- und Artillerieangriffe auf syrischem Staatsgebiet auszuführen, die dann mit dem Einmarsch türkischer Bodentruppen und verbündeter Milizen fortgesetzt wurde. Die Jahre davor waren geprägt von zahlreichen Angriffen des IS auf kurdische Gebiete und dem internationalen Wegschauen bei den Verbrechen in der Region Rojava. Seit 2016 kam es zu völkerrechtswidrigen türkischen Militäroffensiven und bis heute anhaltenden Besatzungen im Norden Syriens. Unter anderem rief die türkische Regierung eine 30 km tiefe sogenannte „Sicherheitszone“ in Nordsyrien entlang der türkischen-Grenze aus, an der in die Türkei geflohene Syrerinnen und Syrer ohne Rücksicht darauf, woher in Syrien sie stammen, angesiedelt werden. Ein Bericht der Vereinten Nationen kritisierte dieses Vorgehen der Türkei in Syrien scharf. Der Bericht spricht von Folter, Vergewaltigungen, Plünderungen und Zerstörungen von Weltkulturerbe und religiösen Stätten. Verbündete der Türkei, die in Syrien zum Einsatz kamen, sollen systematisch gegen die syrische Zivilbevölkerung vor allem kurdischer Herkunft vorgegangen sein. Die Angst vor weiteren Angriffen der Türkei ist hier nach wie vor groß. Die Perspektive auf raschen Frieden gering. Seit einigen Tagen wird um Ain Issa gekämpft, die Situation hat sich seit vorgestern verschärft. Die Angriffe der protürkischen Milizen der Syrian National Army (SNA) haben alleine in den letzten Tagen fast 10.000 Zivilist*innen in die Flucht geschlagen. Offenbar will die Türkei die Verbindung zwischen Kobane und Qamishli trennen. Die Geschichte der Region ist längst nicht geschrieben, sie hängt mit der Geschichte der Kurd*innen, Jesid*innen und Armenier*innen zusammen.

KURD*INNEN DER REGION

Die nach Schätzungen rund 30 Millionen Kurdinnen und Kurden stellen in der multiethnischen Region des Nahen und Mittleren Ostens die viertgrößte ethnische Gruppe dar. Seit dem Zerfall des Osmanischen Reiches besiedeln sie als Volk ohne eigenen Staat vor allem vier Länder: Türkei, Iran, Irak, und Syrien. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts dokumentiert, dass die kurdischen Minderheiten von den jeweiligen Regierungen mal mehr und mal weniger stark verfolgt und unterdrückt wurden. Damit einher ging auch ein regelmäßiges Erstarken der kurdischen Autonomieforderungen nach politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Selbstbestimmung sowie die gezielte Schwächung dieser Autonomiebestrebungen durch die Regierungen der jeweiligen Staaten. In Syrien wurde die kurdische Bevölkerung über Jahrzehnte unterdrückt. Im Irak kam es vor allem unter der Herrschaft von Saddam Hussein zu systematischer Verfolgung und Unterdrückung an der kurdischen Minderheit. In der Türkei hat sich die Menschenrechtssituation der kurdischen Bevölkerung in den letzten Jahren enorm verschlechtert. Die jüngere Geschichte zeigt, dass Kurd*innen enorm wichtige Akteur*innen im Nahen Osten sind. So spielen kurdisch dominierte Verbände im Kampf gegen den IS/Da’esh eine tragende Rolle. Zahlreiche IS/Da’esh-Kämpfer und – Anhänger*innen befinden sich weiterhin in Gewahrsam kurdischer Kräfte in Nordostsyrien.

AKTUELLES

In den zahlreichen Gesprächen u.a. mit dem Außenminister der autonomen Verwaltung in Nordostsyrien Abdulkarim Omar oder dem Vize-Außenminister der nordirakischen Region Daban Shadala bestätigt sich der Eindruck, dass aktuell alte Konflikte in Wechselwirkung mit Neuen aufflammen könnten. Den Menschen in den nordostsyrischen Camps fehlt jede Perspektive, die Angst vor einem Angriff seitens Türkei bleibt. Der benachbarte Nordirak selbst befindet sich an der Schwelle zur schwersten Finanzkrise seiner Geschichte und ist gleichzeitig auf die Kooperation mit der Türkei angewiesen. Die Einbrüche beim Ölpreis sowie die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie führen zu Verzögerungen bei der Auszahlung von Gehältern im öffentlichen Dienst – das sorgt für Unmut, vor allem weil der Regierung von Korruption vorgeworfen wird. Die Entwicklungen in der gesamten Region werden so oder so gravierende Folgen haben. Was wir aktuell tun können ist: Die Kurdische Autonomieverwaltung in Nord- und Ostsyrien appelliert schon lange an internationale Gremien um Hilfe. Wir wollen uns in Österreich deshalb in Zukunft verstärkt für mehr Stabilität in Syrien und Irak durch internationale Unterstützung einsetzen. Hierzu braucht es zum einen Hilfe vor Ort für Binnenvertriebene und zum anderen eine klare Sprache gegenüber der Türkei. Es wird viel zu wenig darüber geredet, wie Angriffe der Terrormiliz IS oder der Türkei verhindert und Sicherheit wiederhergestellt werden könne. Ich möchte den Fokus deshalb mehr auf die Unterstützung der Menschen vor Ort legen, statt damit zu warten, bis sich diese auf den Weg machen – in der Bürgerkriegsregion liegt nämlich die Wurzel des Übels. Allein in Syrien bräuchten elf Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Das Problem ist auch, dass die Hilfe nicht dort ankommt, wo sie wirklich gebraucht werde, weil die Assad-Regierung das verhindert. Innerhalb der UNO muss deshalb mehr Druck auf das Regime ausgeübt werden. Neben der Weiterführung und Ausweitung von bilateralen Projekten zur Friedenssicherung will ich mich in internationalen Gremien, in denen Österreich vertreten ist, verstärkt für die Region einsetzen. Nur so kann Stabilität der Region und Schutz für die Bevölkerung sichergestellt werden. Hinzu kommt: Die wichtige Rolle der syrischen Kurd*innen im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ ist im Westen zu wenig beachtet worden, waren diese aber am meisten den Angriffen ausgesetzt. Im nächsten Beitrag werde ich deshalb auf die Situation der Verfolgten und Vertriebenen in der Region eingehen.