Ich schäme mich – für die Ohnmacht, die Machtlosigkeit, den Zynismus.

Europa steht für Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte – spätestens jetzt könnte sie der Welt zeigen, dass diese Werte keine leeren Worthülsen sind. Die EU darf nicht das Wasser predigen, in dem Flüchtlinge schließlich ertrinken. Die EU darf sich kein europäisches Guantanamo halten, um Menschen von der Flucht abzuschrecken. Die EU muss endlich ihre Mitgliedstaaten an den Verhandlungstisch zwingen und rasch einen soliden Migrationspakt und eine faire Aufnahmepolitik gegen das Chaos und die Verzweiflung vereinbaren. Am 30.September wird die EU-Kommission voraussichtlich ihren Entwurf dafür vorlegen. Dort müssen endlich klare Regelungen für eine solidarische Flüchtlingsverteilung und die sonstigen Beiträge und Maßnahmen der Mitgliedstaaten definiert werden. Diese stehen in der Pflicht, das einzuhalten. Alleine deshalb darf es an EU-Außengrenzen schlicht keine überfüllten Großlager als Abschreckung geben, in denen Flüchtende massenweise inhaftiert und wie Tiere behandelt werden. Solidarische Gemeinden und Regionen, die zur Aufnahme bereit sind, sollen aus Brüssel Direktförderungen erhalten und wer helfen will, muss von der EU unterstützt werden – das fordert unsere Delegationsleiterin im EP Monika Vana und wir werden als Grüne Fraktion im Europaparlament alles tun, damit diese Schritte rasch gesetzt werden, denn Wegschauen ist schon lang keine Option – wir brauchen endlich eine solidarische Asylpolitik. Dabei MUSS es möglich sein, eine gesamteuropäische und humanitäre Lösung für die vom Schicksal & Flucht gebeutelten Menschen zu finden. Die Katastrophe von Moria ist eine Katastrophe der gesamten EU.

Die sofortige Evakuierung der Flüchtlinge aus Moria wäre ein erster, wichtiger Schritt, gleichzeitig brauchen wir dringend eine umfassende politische Lösung für die tausenden Menschen, die jetzt nur das besitzen, was sie anhaben und das letzte verloren haben, was sie auf der Flucht noch retten konnten. Vor allem werden jetzt Zelte und grundlegende Versorgungsgüter benötigt. In der Tat zeichnen sich bereits erste Initiativen ab. Die EU ist bereit, Griechenland mit allen Mitteln zu helfen. UNHCR will seine Mitarbeiter*innen vor Ort aktivieren. Der deutsche Außenminister Heiko Maas fordert angesichts der Ausnahmesituation eine Verteilung von Geflüchteten unter Aufnahmewilligen in der EU. Frankreich plant gemeinsam mit Deutschland einen Vorschlag, um Flüchtlinge aufzunehmen und sucht dafür solidarische europäische Verbündete. Ein Nicht-EU-Land, nämlich Norwegen, hat sich bereit erklärt, 50 Personen aus dem Lager aufzunehmen. Die EU bietet jetzt also praktische und finanzielle Hilfe an, nur dürfen wir uns hier nichts vormachen: Seit Jahren dienen die griechischen Flüchtlingslager angeblich als Warnung für jede*n in Afrika und Asien, der/die darüber nachdenkt, sein Glück in Europa zu versuchen: Tu es nicht, denn hier bleibst du im griechischen Morast stecken, ist die Botschaft – die allerdings nicht verfängt. Die Corona-Pandemie hat jetzt auch das Versagen der europäischen Migrationspolitik in vollem Umfang bloßgestellt. Der Lockdown im Flüchtlingscamp Moria hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Das Lager in Moria war eine tickende Zeitbombe – überfüllt, ohne Aussicht auf Besserung, es gab nicht einmal genug Wasser und Strom. Die Flüchtlinge mussten jahrelang auf ein ‚Verfahren‘ warten – und all das innerhalb der Europäischen Union. Hinzu kommt: Griechenland selbst fühlt sich als ‚Grenzland‘ im Stich gelassen, weil andere EU-Länder sich wegducken und so tun, als wären Flucht & Migration kurzfristige Phänomene und als könnte man die Menschen mit Schreckensbotschaften abhalten, nach einer Perspektive für ein besseres Leben zu suchen. Moria ist zu einem Symbol des scheinbar absichtlichen Verfalls geworden. Moria ist eine Schande für unser Europa.

Nun zu Österreich und eines vorweg: Ich werde nie mit der Positionierung der ÖVP in Bezug auf Moria und die Migrationspolitik im Allgemeinen einverstanden sein, diese gutheißen, relativieren oder verteidigen. Die Position der Neuen Volkspartei widerspricht meiner Haltung, meinen Überzeugungen und aus meiner Sicht auch dem Gebot der Menschlichkeit.
Wem es bei diesen furchtbaren Bildern nicht das Herz zerreißt, der ist ein Zyniker. Wer Menschen unter Generalverdacht stellt, um ihnen so Hilfe zu verwehren, ist am falschen Pfad. Wer glaubt, dass wehrlose Kinder, die mit Pfefferspray besprüht werden, das richtige Szenario sind, um weitere Menschen von der Flucht abzuhalten, hat nicht Humanität und Ordnung vor Augen, sondern Umfragewerte. So oder so muss aus Österreich jetzt rasch Hilfe kommen. Die Bundesregierung sagte Griechenland gestern eine Million Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds zu. Das ist gut und kann gleichzeitig nur ein erster Schritt sein. Wir brauchen geschwind eine gesamtheitliche humanitäre Lösung, d.h. eine konkrete Unterstützung von Griechenland, samt Evakuierung der tausenden Menschen aus dieser dramatischen Notlage. Wir Grüne haben seit langem auf die unhaltbaren Zustände in Moria hingewiesen. Wir haben als Regierungspartei die Verantwortung alles zu unternehmen, um jetzt zu helfen und die Zustände zu beenden. Es ist kein Geheimnis, dass die Positionen der Regierungsparteien hier vollkommen unterschiedlich sind. Die Position der Grünen war, ist und bleibt klar. Wir arbeiten an einer an Menschenwürde und Vernunft orientierten Vorgangsweise und führen weiter Gespräche mit dem Koalitionspartner, um die Not der Flüchtlinge zu lindern. Aber ja, das ist zu wenig! In Österreich haben sich Länder und Gemeinden für die Aufnahme von Kindern aus dem Flüchtlingslager ausgesprochen. Wir haben unbestritten Platz, es fehlt der Wille. Nur: Wem hilft’s, wenn die Grünen jetzt die Regierung mit einem Antrag auf Aufnahme sprengen, der genau Null Chancen auf eine Mehrheit hat? Dazu möchte ich die Mandatsverteilung im Nationalrat in Erinnerung rufen:

71 ÖVP + 30 FPÖ = 101
40 SPÖ + 26 Grüne + 15 Neos = 81

Fakt ist also: Auch ein Koalitionsbruch würde keine Menschen retten. Im Gegenteil, es würde das rechte Lager nach einer Neuwahl noch stärken. Es gibt im österreichischen Parlament schlicht keine Mehrheit für die Aufnahme von Menschen aus Moria. Das ist die bittere Wahrheit. Wenn wir Grüne mit der Opposition stimmen, haben wir also keine Mehrheit und versperren uns den Weg für weitere Verhandlungen. Das ist schwer zu verstehen, schwer nachvollziehbar und schwer zu erklären. Aber diese Machtverhältnisse sind Realität. Das bedeutet nicht, dass wir das Anliegen, Menschen aufzunehmen, nicht teilen und verteidigen. Wir werden weiter dafür kämpfen und unermüdlich mit der ÖVP diesbezügle Gespräche führen.

Ich habe im März Moria besucht und kann nicht aufhören vor allem an die Kinder und Frauen zu denken, die ich damals kennengelernt habe. Die Fotos, Videos und Nachrichten die ich jetzt bekomme, lassen mich nicht schlafen. Ich bin bereits in Athen am Weg nach Moria. Ich werde von dort berichten und Gespräche mit politisch Verantwortlichen und NGO’s führen, statt im Büro in Wien Aussendungen zu schreiben. Das ist das Mindeste, was ich akut tun kann. In diesem Sinne: Stay tuned, stay human