Die Regierung ist auf Klausur und ich nutze die Zeit, um bei unseren Wähler:innen in der Koalitionshalbzeit Rechenschaft über meine Arbeit als Abgeordnete abzulegen. Spoiler: Teil einer Regierungspartei zu sein, die mit den Konservativen regiert, in einer Zeit überschattet von Korruption, Krieg und Corona, ist zweifelsohne anspruchsvoll. Oft bis an die Grenzen.

Der Beginn dieser Legislaturperiode war wahrlich ein Sprung ins kalte Wasser. Für die Grünen ging es praktisch von 0 auf 100. Während wir davor fast 2 Jahre lang nur mit zwei Bundesrät:innen – wovon ich eine war – im Parlament vertreten waren, mussten wir nach den Wahlen 2019 nicht nur einen neuen Parlamentsklub aus dem Boden stampfen, sondern nach intensiven Verhandlungen mit der ÖVP erstmals auch ein Regierungsteam aufbauen. Ich war damals 14 Jahre bei der Partei, arbeitete 2 Jahre im Bundesvorstand am Comeback dieser in den Nationalrat und verhandelte die Bereiche Außenpolitik, Migration, Asyl, Europa, Rechtsextremismus, Polizei, EZA, Frauen, LGBTIQ und Landesverteidigung – immer in anderer Konstellation. An dieser Stelle gleich vorweg: Unsere Mitarbeiter:innen sind unsere beste und wertvollste Ressource bei all diesen Herausforderungen, großes DANKE an Euch!

Ich selbst wechselte also Ende 2019 vom Bundesrat in den Nationalrat und übernahm die Sprecherinnenrolle für die Bereiche Außenpolitik, Migration und Menschenrechte sowie LGBTIQ. Als Abgeordnete bin ich aktuell Mitglied im Ständigen Unterausschuss des Hauptausschusses, im Ständigen Unterausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union, im Landesverteidigungsausschuss, im Ständigen Unterausschuss des Landesverteidigungsausschusses, Obmannstellvertreterin im Ausschuss für Menschenrechte sowie Obfraustellvertreterin im Außenpolitischen Ausschuss, wo ich auch im Unterausschuss für Entwicklungszusammenarbeit sitze. Darüber hinaus bin ich Ersatzmitglied im Justizausschuss, im Ausschuss für innere Angelegenheiten und im Gleichbehandlungsausschuss. Zwischen den Sitzungen im Nationalrat tagen diese Ausschüsse, wo Themen und Anträge diskutiert werden.

Die Arbeit im Nationalrat nahm bereits wenige Monate nach der Angelobung eine ungewöhnliche Wendung. Zwar ist der Politbetrieb bis zu einem gewissen Grad immer unberechenbar, doch die krisenhafte Realität, mit der wir konfrontiert wurden, lässt keinen Stein auf dem anderen: Pandemie, Krieg, Konflikte, Teuerungskrise, Energiekrise oder die Klimakrise stellen unsere Gesellschaft vor gewaltige Herausforderungen, die oft bis in den familiären Bereich hinein zur Zerreißprobe führt. Im Nationalrat führten diese multiplen Krisen zu ebenso heftigen Debatten wie außerordentlichen Maßnahmen. Dafür sprechen auch die zahlreichen Sondersitzungen, die außertourlich stattgefunden haben. Und: Krisenzeiten sind für gewöhnlich Zeiten, in denen Populist:innen und Demagog:innen Hochkonjunktur haben. Sie versprechen einfache Lösungen für komplexe Probleme und entzweien die Gesellschaft, indem sie das solidarische „Wir“ in ein „Wir gegen die anderen“ auflösen. Zugegeben, wir alle haben keine Blaupause für die perfekte Navigation durch die stürmischen Zeiten, die wir gerade erleben. Doch haben wir ungeachtet dessen einige Ankerpunkte, die uns nicht nur Halt geben, sondern auch verlässliche Orientierung bieten: Menschenrechte, Demokratie, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und zu guter Letzt die Widerstandskraft der Gesellschaft, die all dies wie einen Schlussstein zusammenhält. Nur gegenseitiger Respekt der jeweiligen Positionen ermöglichte uns bis dato ein weitgehend friedvolles Miteinander, bei dem jeder und jede möglichst frei leben kann.

Ich sehe es als meinen politischen Auftrag an, diesen wertebasierten gesellschaftlichen Konsens, der uns über Jahrzehnte eine lebenswerte Koexistenz beschert hat, bestmöglich zu schützen. Österreich ist jedoch keine Insel, und so ist der antidemokratische Backlash, der sich aus Intoleranz, Ausgrenzung und Trans/Homophobie speist, nicht nur hausgemacht, sondern vor allem auch ein international grassierendes Übel. Ein guter Teil meiner politischen Arbeit und viele meiner Initiativen haben deshalb eine globale Perspektive und wirken, so hoffe ich, positiv auf Österreich zurück. Meine Richtschnur bleiben dabei immer die für mich unverrückbaren Werte wie Gerechtigkeit und Humanismus. Viele meiner Anfragen & Anträge betrafen denn auch die Menschenrechtssituation in Ländern quer über den Globus: u.a. Türkei, USA, Venezuela, Belarus, Russland, die Länder des Kaukasus, Myanmar, China, Afghanistan, Syrien, Rojava, Irak, Iran, aber auch diverse Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Es ging um Vorstöße zur Friedenssicherung, Sicherung der Meinungs,- und Pressefreiheit, Maßnahmen gegen repressive Regime, den Schutz vulnerabler Personengruppen und gegen die Diskriminierung bestimmter Gruppen von Menschen, wie es in Österreich beispielsweise im Blutspendeverbot von homosexuellen und bisexuellen Männern zum Ausdruck kam. Dieses Verbot ist nun endlich gefallen und es ist sowohl dem zivilgesellschaftlichen Druck der Community als auch dem politischen Druck der Grünen geschuldet, dass wir dieses harte Brett nach Jahren des Bohrens endlich durchlöchert haben. Ebenso stolz bin ich darauf, dass es uns gelungen ist, in einem letzten Endes von allen Parteien unterstützten Antrag, die Gräueltaten von Srebrenica auf parlamentarischer Ebene als das zu benennen, was sie sind – ein Völkermord. Nur mit einer lebendigen Erinnerung an dieses tragische Ereignis können wir dazu beitragen, dass sich die Gesellschaft der Täter früher oder später der Geschichte stellt, anstatt die begangene Schuld zu verstuschen oder zu verdrängen. Nur so können historische Wunden auch tatsächlich heilen und kann der Weg für eine gemeinsame friedliche Zukunft geebnet werden. Das Gegenteil davon – wenn Geschichte eben nicht aufgearbeitet, sondern missbraucht wird – zeigt gerade Russland schmerzvoll vor.

Meine Sprecherinnenrolle für Außenpolitik, Migration und Menschenrechte brachte es mit sich, dass ich Reisen in die unterschiedlichsten Länder unternahm. Zum einen um Gesprächskanäle zu den dortigen politischen Entscheidungsträger:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft aufzubauen oder zu erhalten, zum anderen um auf bestimmte Probleme vor Ort aufmerksam zu machen, die mitunter auch eine gewaltige internationale Dimension aufweisen. So bereiste ich mehrmals die Autonomen Kurdengebiete in Nordostsyrien und in Irakisch-Kurdistan. Beide ringen um internationale Aufmerksamkeit, denn ihr Überleben hängt davon ab, ob es in der Region politische Stabilität gibt und die Bevölkerung damit auch eine Zukunftsperspektive hat. Im Nahen Osten geht es wie sonst nirgendwo auf der Welt um den Kampf gegen Terror des IS, den Aufbau demokratischer Systeme oder Stärkung der Frauenrechte – die Entwicklungen dort haben direkten Einfluss auf uns in Europa.

Drei Mal nahm ich einen Lokalaugenschein am Schandfleck Europas, dem zu trauriger Berühmtheit erlangten Flüchtlingslager auf Lesbos, Moria, vor. Ich war an der Blackbox-Grenze zwischen Polen und Belarus, wo Flüchtlinge oftmals in einer tödlichen Sackgasse landen und die prekäre Situation von in Bosnien gestrandeten Geflüchteten führte mich mehrmals auch in die dortigen Flüchtlingslager. Zuletzt war ich an den EU-Außengrenzen von Ungarn, Serbien und Rumänien unterwegs, um mit dort gestrandeten Menschen zu sprechen und mir einen Überblick zu verschaffen. Mir ging es immer um akute Hilfe, aber auch um eine Stärkung des öffentlichen Bewusstseins, dass Europa sich selbst verrät, wenn die vielzitierte Ordnung an den Außengrenzen nicht mit Humanität einhergeht. Drei Mal reiste ich bereits in jenes Land, in dem derzeit nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes um Freiheit und Demokratie gekämpft wird, sondern überhaupt die Nachkriegsordnung eines ganzen Kontinents auf dem Prüfstand steht: die Ukraine Die Art, wie wir mit der russischen Aggression umgehen und wie wir das Land bei der legitimen Verteidigung seiner staatlichen Souveränität unterstützen, wird die politische Zukunft Europas auf lange Zeit hin prägen.

Im Rahmen der OSZE war ich Teil von Wahlbeobachtungsmissionen in z.B. Kirgisistan, Albanien oder Ungarn. Dazu kamen Kongresse, Meetings, Konsultationen in der Türkei, Deutschland, Indonesien, den USA, Polen, Tschechien oder Lettland. Als Mitglied der Interparlamentarischen Plattform IPU oder GASP diskutierte ich mehrmals die Sicherheit und Verfassung der Welt mit Vertreter:innen aller Parlamente. Umgekehrt empfing ich auch viele Menschen aus Politik und Gesellschaft aus dem Ausland. Das nicht zuletzt auch in meiner Rolle als Vorsitzende der parlamentarischen Freundschaftsgruppen Albanien und Zentralasien samt Mongolei Hinzukommen zahlreiche spannende Treffen und Beratungen mit den Botschaften im In,- und Ausland. Ein beeindruckender Mensch, mit dem ich mehrmals inner- und auch außerhalb Österreichs zusammentraf, ist die belarusische Oppositionsführerin Svetlana Tichanowskaja. Schließlich war es mir sehr wichtig, ihre mutige Demokratiebewegung gegen das Lukaschenko-Regime von Österreich aus nach besten Kräften und von Beginn an zu unterstützen.

Es ist zugegeben nicht leicht, das Ausmaß meines politischen Wirkens quantitativ einzuschätzen. Unmittelbar lässt es sich wahrscheinlich noch am besten festmachen, wenn es gelingt, durch öffentlichen Druck oder stille Diplomatie die Situation von politischen Gefangenen in diktatorischen Staaten zu verbessern oder gar deren Freilassung zu erwirken. Oder auch, wenn eine bestimmte Initiative eine konkrete Gesetzesänderung zur Folge hat oder es mir gelang, alle Parteien im Parlament von der Wichtigkeit eines Antrags zu überzeugen. Alle meine Anträge und Anfragen können hier eingesehen werden: https://bit.ly/3OH0S92 In Zahlen ausgedrückt liest sich meine vom Oktober 2019 an währende Tätigkeit als Nationalratsabgeordnete wie folgt:

  • 77 Reden im Nationalrat
  • 29 selbstständige Entschließungsanträge
  • 15 unselbstständige Entschließungsanträge
  • 4 schriftliche und 5 mündliche Anfragen an Minister:innen
  • 411 Aussendungen
  • 498 Erwähnungen in APA (Austria Presse Agentur)-Meldungen

Mir ist aber bewusst, dass jeder Schritt, jedes Gespräch und überhaupt jede Handlung im Sinne meiner Grundhaltung eine positive Wirkung entfalten sollte und für sich genommen weitere Kreise ziehen muss, um Wirkung zu erzielen. Demnach ist für mich vor allem die Gewissheit wichtig, dass die politische Fahrtrichtung stimmt und die Erkenntnis: Steter Tropfen höhlt den Stein – denn Geduld ist die Tugend, die man in der Politik notgedrungen oft am meisten braucht. Eine weitere wichtige Erkenntnis verfestigte sich seit meiner Angelobung im Nationalrat nur noch mehr: den Menschen zuhören, ihre Bedenken ernst nehmen, eigenes Handeln stets reflektieren, statt mit dem Strom zu schwimmen – das werde ich auch in Zukunft weiterhin tun. Danke für Eure Aufmerksamkeit.