Endspurt zum Wahltag in der Türkei oder wenn es um Machterhalt geht, ist Präsident Erdoğan kein Trick zu blöd – er könnte trotzdem nach 22 Jahren Geschichte werden. Am 14. Mai wird gewählt – ich werde Vorort Wahlbeobachtung machen und diskutierte vorab in Wien über die Entwicklungen und Optionen.

Präsident Erdoğan steht so unter Druck, dass er gar zum „Propheten“ mutiert: „Die Opposition bekommt ihre Befehle von der PKK. Wir bekommen die Befehle von Gott“, ruft er in die Kameras und hofft, dass die Bevölkerung vergisst, dass eine breite Allianz aus 6 Parteien (mit Unterstützung einer weiteren, der HDP) einen Kandidaten aufgestellt hat, der selbst Alevite und von der CHP (Sozialdemokraten) ist. Dann wirft Erdoğan in einer Wahlkampfrede der Opposition vor, „LGBT und andere Perverse“ zu unterstützen und betont unverblümt, dass er und seine extrem rechten Verbündeten sich klar feindselig gegen LGBTIQ positionieren. Es geht aber weiter und das bleibt von der Weltöffentlichkeit fast unbemerkt: Erdoğan verteilt ein Geschenk an seine islamistischen Verbündeten: Der Leiter der islamistischen Terrororganisation Hizbullah, verurteilt zur lebenslanger Haft, wird jetzt auf Anweisung von Erdoğan freigelassen. Denn: Sein AKP-Regime setzt bewusst auch auf solche Kräfte im politischen Machtkampf gegen die demokratische Opposition. Auch das harte Vorgehen gegen die kurdische HDP Partei und die Zivilgesellschaft geht weiter. Hier ein Auszug der letzten Tage:

– 25. April: Operationen in 21 Provinzen mit 126 Festnahmen.

– 29. April: Die Generalstaatsanwaltschaft von Ankara erlässt Durchsuchungsbefehle für 49 Personen, 5 werden festgenommen, 4 davon sind Journalisten.

– 30. April: 23 Verhaftungen in 8 Provinzen.

2. Mai: 17 Personen werden in Istanbul festgenommen.

Der Personenkreis umfasst vor allem jene, die im Wahlkampf auf der „Gegenseite“ stehen: Organisatoren von Wahlkampagnen, Journalist:innen, die den Wahlkampf verfolgen, freiwillige Anwält:innen zur Gewährleistung der Wahlsicherheit, Künstler:innen, die bei Wahlkundgebungen auftreten oder schlicht Mitglieder von Frauen- und Jugendbewegungen, die sich für faire Wahlen einsetzen und NGOs angehören.

Ob all das diesmal „reichen“ wird, ist offen, aber in Umfragen sieht es für Präsident Erdoğan schlecht aus. Kemal Kilicdaroglu fordert den türkischen Präsidenten heraus und macht klare Ansagen: Er möchte Visafreiheit für die Bevölkerung erwirken und langfristig eine EU-Mitgliedschaft ermöglichen oder dass die Türkei wieder Teil vom EuroVision Songcontest wird. Unterschätzen wir nicht die symbolische Wirkung dieser Ansage: Dem aktuellen Präsidenten war die Teilnehmerin Hadise zu leicht bekleidet und so schied für ihn 2013 das ganze Land aus dem ESC aus. Anschließend startete er „Turkvision“, einen „familienfreundlichen“ Wettbewerb mit Liedern nur in türkischen Sprachen. Alles in allem: Es geht bei dieser Wahl um Weltbilder. Es geht bei dieser Wahl darum, wer unser Partner in Europa sein wird, es geht um Demokratie für alle.